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Architekturen der Zukunft - die Stadt als Kunstraum (2002)

Architekturen der Zukunft
– die Stadt als Kunstraum


 (s.a. bauhütte klangzeit wuppertal)

Allgemeine Vorbemerkungen

Architektur ist gebauter Intelligenztransfer und ein wichtiges Portal zum Diskurs der geistig-kulturellen Wertvorstellungen. Als konkret gebautes Struktursystem und als Ausdruck unseres nach aussen erweiterten kulturellen Bewusstseins ist sie die öffentlichste aller Künste. Ihr Wert misst sich daher an der Qualität der mit ihr verknüpften geistig-kulturellen Dimensionen, durch die sie über sich selbst hinausweist.

Unter diesen Blickwinkeln ist auch die Frage nach der Definition des Raumes neu zu stellen. Es ist die Frage, woraus Raum sich grundsätzlich konstituiert. Um eine Antwort zu finden, knüpfen wir an Überlegungen aus der Chaostheorie an und stellen fest: Alles ist dynamischer Prozess, auch Steine, Menschen, Galaxien und Räume. Alle dynamischen Prozesse können sich verändern, verlaufen in ihrer jeweiligen (Eigen)Zeit und greifen dabei Raum ... Räume entstehen prinzipiell aus den Schnittpunkten unterschiedlicher dynamischer Prozesse. Deshalb gibt es recht unterschiedliche Räume: Denk- und Empfindungsräume, Natur-, Stadt- und Landschaftsräume. Auch Politik und Wirtschaft, Philosophie, Religion, Musik oder Malerei entwickeln in sich selbst relativ eigenständige "Räume". Um zu vermeiden, dass die Räume sich gegenseitig ausgrenzen, ignorieren, nivellieren oder zerstören, bedarf es ihres Zusammenwirkens zu einer integralen vieldimensionalen Raumstruktur.

Worin besteht die integrale Qualität einer solchen Raumstruktur? Integral bedeutet: Ein Ganzes ausmachend, auf ein Ganzes bezogen. Zudem basiert integrale Qualität auf der Wahrnehmung der von Buckminster Fuller thematisierten Frage nach der Integralfunktion des Menschen im Universum. Als Kerngedanke der Integralfunktion kann die Weitergabe und Unterstützung von integraler Intelligenz und organismischen Lebensformen im Universum gelten. Nur dann wenn es der modernen Menschheit zumindest hier auf der Erde gelänge, die Integralfunktion zu realisieren, hätte sie ihre kosmische Funktion erfüllt und wäre "kosmisch nicht bankrott" (Buckminster Fuller).

Die Intelligenz des Menschen bleibt jedoch solange ungenügend entwickelt, wie sie allein rational orientiert ist. Erst durch eine gegenseitige Ergänzung der rational und emotional operierenden Gehirnhemisphären kann sie ihre volle Potenz erreichen. Auch die kulturelle Kommunikation ist nur so zukunftstragfähig, wie sie auf die volle Entfaltung der menschlichen Intelligenz hinwirkt und damit die Spaltung von Rationalem und Emotionalem überwindet. Die volle (integrale) Entfaltung unserer geistigen Potenzen bildet zugleich die Voraussetzung, die Weitergabe und Unterstützung von integraler Intelligenz und organismischen Lebensformen zu erreichen und die unterschiedlichen Räume, Schnittpunkte und dynamischen Prozesse des Lebens in kompatible und organismisch verträgliche Relationen zu bringen.

In Architektur kann prinzipiell die Aufgabe gesehen werden, dynamischen Prozessen und ihren Schnittpunkten eine bestimmte bauliche Struktur zu geben. Dazu muss sie nicht nur die zu einem jeweiligen Bau gehörenden dynamischen Prozesse und Schnittpunkte definieren, sondern – und das ist wohl selbstverständlich - auch nach Formen und Strukturen fragen, mit denen eine effektive Umsetzung dieser dynamischen Prozesse gewährleistet werden kann. Wenn die Hauptfunktion von Architektur darin zu sehen ist, als gebautes Struktursystem unseres nach aussen erweiterten kulturellen Bewusstseins zu fungieren, sind die einzelnen Bauten als dessen Unterfunktionen zu verstehen. Dies bedeutet, die effektive architektonische Umsetzung der dynamischen Prozesse nicht auf die Gewährleistung der profanen Funktionen zu beschränken, sondern sie grundsätzlich der Aufrechterhaltung und Erweiterung der allgemeinen kulturellen Kommunikation zu verbinden. Für eine moderne zukunftstragfähige Architektur bedeutet dies nicht weniger, als von einer profon funktionalen Gestaltung zu einer kulturellen Qualität voranzukommen. Dies wäre ein Schritt weg vom Oberflächendesign hin zu Architekturformen, die als Interfaces zwischen Innen- und Aussenräumen kulturelle Qualitäten erreichen (ökologische Qualitäten selbstverständlich einbeziehend und vorausgesetzt!).

Würden Architektur und Städtebau stattdessen weiterhin vor allem als kommerziell zu designende Benutzeroberfläche verstanden, hätte das für die Entwicklung der Gesellschaft auf Dauer fatale Folgen. Dem Gemeinwesen würde eine wichtige Grundlage der öffentlichen kulturellen Kommunikation entzogen, wodurch sein sukzessiver Zerfall besiegelt würde. Deshalb gilt es die Städte wieder als kulturelle Zentren – und zwar im Sinne eines neuen integral-modernen Bewusstseins - zu verstehen und sie architektonisch entsprechend zu gestalten. Kulturelle und profane Räume und Relationen könnten dadurch aneinander heranreichen, sich berühren, in ein kreativ lebendiges Wechselspiel treten. Die Stadt der Zukunft wird also mehr sein müssen als eine geschickte Aneinanderreihung funktionaler Architekturen. Mit ihrer architektonischen und städtebaulichen Gestalt soll sie integrale Intelligenz, kulturelle Qualität und Identität, transkulturelles Verständnis sowie kompetenten Zukunftswillen verkörpern und ausstrahlen.

Die Stadt der Zukunft als Kunstraum

In der Stadt der Zukunft wäre die Produktion von akustischem und optischem Abfall ebenso zu vermeiden, wie die Überlärmung der menschlichen Psyche. Durch eine wahrnehmungs-ökologisch bewusste Stadtplanung, durch entsprechende Architekturen und durch intelligent angelegte Verkehrsstrukturen ließe sich auch der Lärm und Gestank der Straßen auf ein verträgliches Minimum reduzieren. Und weil die Gestaltung der (Innen)Städte sich an den integralen Bezugspunkten des vieldimensionalen Raumes zu orientieren hätte, könnten die einzelnen Architekturen dessen einzelne Aspekte verdeutlichen und zu entsprechend behutsamer Öffnung der Wahrnehmung einladen. 

Kein Fassadismus mehr, sondern architektonische Aussenräume - kreativ kombiniert, ökologisch, integral-modern, abstrakt-konstruktiv-konkret - als Räume künstlerischer Gestaltung, für Skulpturen, Malerei und Formen- und Farbspiele auf Augenhöhe. Neben den Einkaufsbereichen - und in sie vordringend - Orangerien, Stein-, Kristall-, Sand- und Erdräume sowie wuchernde Natur. Spielplätze, Piazzas, die auch als Aufführungsforen für moderne multimediale Performances genutzt werden könnten. Foren für transkulturelle Integral-Games, durch die in intelligenten Formen Selbstorganisationsvorgänge des Lebens zu erfahren sind. Intelligente und ökologische Funktionslandschaften mit künstlerisch gestalteten Formen von Schaufenstern, Balkons, Erkern, Terrassen, Dachgärten, mit Skulpturen, Farben, Stille-Zonen und leisen Klängen. Organoide Architekturformen, Tensegrity-Architekturen, Pflanzenformen, Wellenformen, Blitzformen oder fraktale und nichteuklidische Geometrie. Gut abgestimmt auf das jeweilige Umfeld als energetische Ausgleichsfaktoren, unprätentiös, grundlegend einfach, schön, von Großzügigkeit und großer Ruhe getragen. Ein Haus der Farbe, ein Haus des Klangs, ein Turm schnell fallender oder aufsteigender Elemente, eine Halle, in der man das Pulsieren der Pulsare im Weltall hören kann, Planetarien, die in den Zentren der Städte dazu einladen, ins Weltall zu schauen. Räume, Plätze oder Plattformen, die die Schnittpunkte des vieldimensionalen Raumes auf ungewöhnliche Weise begreifbar werden lassen. Orte, die in integral-modernen Formen den Mysterien des Menschsein - Zeugung, Geburt, Fruchtbarkeit, Tod - gewidmet sind. Performances-Centers, Bibliotheken, Museen, Theater, Konzerthäuser, die bis tief in die Nacht besucht werden können. Auf den Plätzen und Straßen Wasserspiele, die ihre Atmosphären tatsächlich erfrischend entfalten, ohne von Klimaanlagen oder Verkehr übertönt zu sein.

Wo könnte eine solche Stadt entstehen? In allen Städten sind (egal wie schlecht ihre bisherigen Planungen gewesen sein sollten) vielfältigste Möglichkeiten denkbar, sie Schritt für Schritt zu einem (kulturelles Bewusstsein und Intelligenz kommunizierendem) Architektur- und Kunstraum umzugestalten. Die Stadt sollte dafür allerdings weniger als Bühne verstanden werden, auf die nach Belieben austauschbare Kunstobjekte oder Architekturen zu stellen sind, sondern vielmehr als eine energetische Konstellation, auf die es - mit speziell zu entwickelnden Projekten - so zu antworten gilt, dass kulturelle Qualität wahrnehmbar wird.

Dafür gilt es bei der Ausbildung der Künstler anzusetzen und sie auch zur Schaffung von integral-modernen vieldimensionalen Räumen zu befähigen. Zu geringe Investitionen in die Projekte selbst wäre dabei nicht ungefährlich, denn schlechte Projekt-Realisierungen bringen die ihnen zugrunde liegenden Ideen in Misskredit.

Wesentlich auch, dass das Erlebnis von Formen, Farben, Klängen nicht mit Ideologien bepflastert wird, sondern dass die künstlerischen Energien weitgehend ideologiefrei umgesetzt und wahrgenommen werden können.

Es könnte für solche Ideen ein grosses künstlerisches und gestalterisches Potential freigesetzt werden, das die entsprechende Kompetenz mitbringt oder sich aneignen kann. Damit sollte die Entwicklung von kulturellem und künstlerischem Know how einhergehen, das es erlauben wird, jedesmal - wenn wir es einsetzen - mit gestalterischen, künstlerischen, kuturellen Fragen gleichermaßen verantwortungsvoll wie freiheitlich, behutsam und intelligent umzugehen.

Auch wenn Architektur als ein wichtiges Strukturelement des nach aussen erweiterten kulturellen Bewusstseins und als die öffentlichste aller Künste gelten kann, so sollte sich mit ihr vergegenwärtigen, dass sie nicht das kulturelle Bewusstsein selbst ist. Denn dieses formuliert sich erst durch die Verknüpfungsleistung der unterschiedlichen dynamischen Prozesse, Denk- und Empfindungsräume und profanen Zwecke, um derentwillen sie gebaut wird. Diese Verknüpfungsleistung stellt jedoch eine hochkomplexe Anforderung dar, die nur aufgrund einer glücklichen interdisziplinären Zusammenarbeit zu leisten ist. Und genau daran hat es dem 20. Jahrhundert elementar gemangelt. Kulturell optionierte interdisziplinäre Zusammenarbeit ist die Voraussetzung, um eine Stadt der Zukunft entwerfen und bauen zu können.

Obwohl schon Walter Gropius mit dem Weimarer Bauhaus ein bewusstes Mit- und Ineinanderwirken der Künste postulierte, ist es in Bezug auf Städteplanung und Architektur bisher kaum wirklich eingelöst. Zudem verkam in der Dessauer Bauhauszeit der Ansatz des integralen Zusammenwirkens der Künste mehr und mehr in Richtung eines kommerziellen und funktionalen Designs. Und leider war die Architektur des 20. Jahrhunderts von den damit verbundenen Missverständnissen sehr stark dominiert, was letztlich dazu führte, dass sich die Menschen in Umgebungen alter Architekturen oftmals wohler fühlen als in den Umgebungen neuer. Bereits bei Gropius lag ein nicht unerheblicher Fehler darin, Architektur als Leitkunst zu propagieren, der sich alle anderen Künste ausschmückend unterzuordnen hätten. Es muss daher auch heute noch das Nein unterstrichen werden, das Gropius dazu von seinen besten Bauhauskollegen dazu erfuhr. Nein, denn die anderen Künste sind als Räume nicht zur Ausschmückung von Architektur da, sondern sind als integrale Bestandteile zu verstehen, um derentwillen Architektur – neben ihren profanen Funktionen - letztlich gebaut wird!

Indem viele Architekten die interdisziplinäre Idee des „Gesamtkunstwerkes“ (wir denken dabei nicht an Wagners Opern!) vergaßen oder es mehr oder minder allein zustande bringen wollten, blieb die integrale Struktur des vieldimensionalen Raumes bisher völlig unterentwickelt. Das „Gesamtkunstwerk“ wurde zwar viel diskutiert und belächelt, doch kaum eingelöst. Sich des vieldimensionalen Raumes bewusst zu werden und ihn – wenigstens präzedenzfallartig – in interdisziplinärer Zusammenarbeit integral und differenziert zu gestalten, das könnte für die Architektur-Qualität des 21. Jahrhunderts ausschlaggebend werden. Zu der dafür notwendigen interdisziplinären Zusammenarbeit gibt es auf Dauer keine ernsthafte Alternative. Denn wenn  Philosophen und KünstlerInnen aller Art - Maler, Bildhauer, Komponisten, Schrifsteller - nicht von vornherein in die Konzeptionen von Städtebau und Architektur einbezogen werden, wird an ernstzunehmenden Überlegungen, kreativen Ideen und innovativen Einwänden vorbeigebaut. Damit wird vorhandes Know how übergangen und die Instabilität des vieldimensionalen Raumes, in dem wir leben, so gesteigert, dass er früher oder später zerspringt oder in sich selbst zusammenstürzt. Dagegen ist eine vertiefte gemeinsame interdisziplinäre Zusammenarbeit zu setzen, die das Wissen und Erkennen der einzelnen Disziplinen synergetisch zu einem Ganzen verknüpft, das Stabilität erlangt, weil es mehr ist als die Summe seiner Teile.

Die Chance zukünftiger Architektur liegt daher genau darin, sich der Notwendigkeit interdisziplinärer Arbeit bewusst zu werden. Stück um Stück werden Architektur und Städteplanung dann das falsche Ideal designter Fassadenflächen (die man als Fassadismus bezeichnen kann) zugunsten einer integralen Gestaltung aufgeben, bei der künstlerische Formen von vornherein Bestandteil interdisziplinär erarbeiteter Gestaltungskonzeptionen sind. So wird die Stadt der Zukunft nicht zu einer zerfahrenen und überlärmten Benutzeroberfläche verkommen, sondern sich als akustisch und optisch ökologischer Kunstraum zum Ort und Raum moderner kultureller Kommunikation entwickeln.

Es gilt dafür eine Reihe schlechter Gewohnheiten und falscher Prämissen über Bord zu werfen. Sich auf jene Ideen und Projekte zu besinnen, die sich schon bisher an einer integralen vieldimensionalen Raumstruktur orientierten, kann dafür hilfreicher Ansporn sein. (s.a. bauhütte klangzeit wuppertal)

Berlin, im Frühjahr 2002 / neu durchgesehen im  Dez. 2022

s.a. " Zukunftsforum Berlin - eine Alternative zum Berliner Stadtschloss"

 

 

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