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Zur Zukunft Neuer Musik - ein Vorschlag auch angesichts von Corona-Zeiten

Präambel: Gelänge es nicht, das fatale gesellschaftliche Abseits Neuer Musik zu überwinden, dürfte das früher oder später das "Aus" Neuer Musik bedeuten. Um dies zu vermeiden und zugleich auch weiterhin Experimentelles und Individuelles zu gewährleisten, bedarf es so etwas wie einer "konzertierten Aktion", die verschiedene Faktoren miteinander verbindet. Als einen solchen Faktor schlage ich die Integral-Art-Festpiele vor, dessen einzelne Projekte sehr erfolgreich waren und in den vergangenen Jahrzehnten mitunter von Zigtausenden besucht wurden. Ich lade hiermit alle interessierten E-Musik-Komponist*innen ein, gemeinsam für die Vision dieser Festspiele einzutreten, sich mit ihrer Musik und ihren neuartigen Gesamtkunstwerken an den Integral-Art-Festpielen zu beteiligen, sie mit auszubauen, konstruktiv-kritisch zu hinterfragen, zu konterkarieren, zu ergänzen. Das Jahresbudget wird auf ca. 30 Mio € geschätzt (was etwa dem eines Opernhauses entspricht und wahrscheinlich nur mit Länder-, Europa- und Bundesmitteln zu stemmen wäre). Angesichts von Corona-Zeiten sei besonders auf Zyklus G (s.a. integral-games.net) verwiesen, der mit Abstand der aufwändigste und arbeitsintensivste Bereich dieser Festspiele ist, aber (wenn künstlerisch und philosophisch gut gemacht) einst ein enorm großes Publikum - auch an Computern, Radios, Bildschirmen - haben könnte. Ich gehe davon aus, dass die Integral-Art-Festspiele für die E-Musik einen großen Schub voran bringen würden (ohne deshalb der U-Musik zu schaden).


H.Johannes Wallmann - Berlin, 28.12. 2020 

an Moritz Eggert, Präsident des Deutschen Komponistenverbandes

 

Lieber Moritz, liebe Kolleginnen und Kollegen,

angesichts des fatalen gesellschaftlichen Abseits Neuer Musik möchte ich die Zeit “zwischen den Jahren” für einige Gedanken zur Zukunft der Neuen Musik nutzen und mir erlauben, Euch diese hier vorzustellen.

Zumal Schwingung (s.a. die Stringtheorie der modernen Astrophysik) als eine der grundlegendsten Eigenschaften des Universums verstanden werden kann, kann die sog. E-Musik als prädestiniert gelten, sich mit entsprechend grundlegenden Fragen zu beschäftigen. Sie hat damit - erstrecht angesichts der Moderne - ein vollkommen anderes Aufgabengebiet als etwa die Unterhaltungs- und Filmmusik. Denn die Moderne brachte (bedingt durch das Eingreifen moderner Technologien in langfristige Natur-, Lebens- und Verantwortungszusammenhänge) eine evolutiv vollkommen neue Situation mit sich: Erstmals in ihrer Evolution ist nun die Menschheit selbst für das Leben als Ganzes auf diesem Planeten verantwortlich. Dies ist wohl die bisher größte Herausforderung der menschlichen Intelligenz überhaupt. Es geht nun um nichts weniger als darum, sowohl als Individuen als auch als Menschheit nicht zu dumm zum Überleben zu sein – dauerhaft!

Betrachtet man Musik als universelle Intelligenz- und Freiheitsenergie, 

so kommt ihr bei der Lösung dieser großen Aufgabe eine eminente Rolle zu. Zumal gerade E-Musik intuitive Erfahrungen von zukunftstragfähgen Synthesen ermöglichen könnte, darf es mit musikalischer Intelligenz kaum lediglich um Ablenkung, Unterhaltung, Untermalung, individuelle Expressionismen oder Analyse gehen, sondern vor allem um Synthese. (Schon Kant meinte, Synthese sei das Erste, worauf wir Acht zu geben hätten ...) Und 

weil zur Lösung der Moderne-Problematik die musikalischen Synthesen vergangener Jahrhunderte nicht hinreichend sind, 

habe ich meine Musik und Kunst stets als Übung neuer zukunftstragfähiger Synthesen verstanden. Angefangen bei subtilster Kammer- und Orchestermusik bis hin zu großen Raum- und Landschaftsklang-Kompositionen oder etwa der BAUHÜTTE KLANGZEIT WUPPERTAL (1991/92). Mit diesem ersten internationalen Klangkunst-Festival Deutschlands im öffentlichen Stadt- und Landschaftsraum knüpfte ich an dem ersten umfassenden Gesamtkunstwerk-Anspruch der Moderne an - dem Weimarer Bauhaus und seinen Ideen der kulturellen Erneuerung und des integralen Zusammenwirkens der Künste. Mit den zwei KLANGZEIT- Symposien sowie meinen/unseren Büchern “INTEGRALE MODERNE - Vision und Philosophie der Zukunft” (PFAU 2006) sowie “KUNST – EINE TOCHTER DER FREIHEIT?” (Kadmos 2017) gelang es mir zudem, einen philosophischen/ethischen Rahmen für die Musik der Zukunft zu umreißen (s.a. integrale-moderne.de).

Vieles konnte ich nur deshalb schaffen, weil ich 

glücklicherweise Unterstützung fand und mein kompositorisches Werk zudem an musik- und kulturphilosophischen Überlegungen anstatt an GEMA-Werk-Kategorien

orientierte. (Zwei diesbzgl. Rechtsstreite mit der GEMA verlor ich leider, obwohl die GEMA beim ersten erhebliche Nachzahlungen mir jahrelang vorenthaltener Abrechnungen vornehmen musste.) So dürfte es keine gewagte Prognose sein, dass ein starres Beibehalten der bisherigen GEMA-Werk-Kategorien die Neue Musik noch tiefer ins Abseits treiben wird ... Kluge Änderungen sind daher dringend geboten!

Bevor ich jedoch an die Realisierung meiner Ideen gehen konnte, war es zunächst unabdingbar, mich - u.a. mit einem kulturpolitisch begründeten DDR-Ausreiseantrag (dem 1988 entsprochen wurde) - gegen den realsozialistischen Totalitarismus und den da üblichen ideologischen Missbrauch der Künste zur Wehr zu setzen. Da seit dem Mauerfall im Bereich der Neuen Musik die - mit viel Geld und Macht ausgestatteten - Neue-Musik-Vertreter aus dem Realsozialismus (ihre DKP-Genossen sowie sonstigen Helfershelfer) sehr weitgehend das Sagen hatten, kommt es allerdings einem Wunder gleich, dass es mir gelang, Integral-Art und dazu gehörige Großprojekte* zu realisieren. So entstand in den Jahrzehnten meiner Komponisten-Tätigkeit ein klangbasiertes - von Zigtausenden besuchtes, von Rundfunkanstalten teils live übertragenes, von Rezensenten hochgelobtes, von manchen Interpreten bestens anerkanntes – Neue-Musik-Oeuvre sowie die Idee der Integral-Art-Festspiele. Wenn auf dem Titelbild des Integral-Art-Sammelbandes der Slogan “Gesamtkunstwerk? Wallmann statt Wagner” (s. integral-art.de) zu lesen ist,  

so geht es damit nicht um Personenhervorhebung, sondern um die Kurzfassung eines modernen anti-totalitären Gesamtkunstwerk-Konzeptes, 

das – auch um der Zukunft moderner Demokratie willen - den nationalmythischen Opernwelten Richard Wagners diametral entgegengesetzt ist (ohne damit dessen Opernmusik-Qualitäten zu bestreiten).

Was die Integral-Art-Festspiele konkret angeht, so wäre für die Einbeziehung anderer Künstler*innen noch sehr viel mehr Platz, als im o.g. Sammelband bereits dargestellt. Denn das 10x3-Tage-Programm könnte in allen 10 Zyklen/Orten um weitere Tage 

mit Musik und Gesamtkunstwerken von anderen Komponist*innen ausgebaut, ergänzt, konstruktiv-kritisch hinterfragt bzw. konterkariert 

werden. Darüber hinaus bietet Zyklus G (EUROPA . NEU-DELPHI . INTEGRAL-GAMES; s.a. integral-games.net) viel Raum für internationale Zusammenarbeit und enthält zudem interessante kommerzielle Komponenten (z.B. “spielend lernen”) ...

Die Schwierigkeiten, Wahr- und Schönheiten des Entstehens eines solch umfassendes Gesamtkunstwerkes habe ich u.a. in meinem Buch “Die Wende ging schief” (Kadmos 2009) beschrieben; Du, Moritz, rezensiertest es: https://blogs.nmz.de/badblog/2010/12/19/die-wende-ging-schief-ein-buch-von-h-johannes-wallmann/

Klar weiß ich, wie viele glückliche Umstände dazu gehören und wie selten auch daher das Gelingen eines umfassenden Gesamtkunstwerk-Konzeptes ist, das tatsächlich zukunftstragfähig ist und sogar Corona-Zeiten standhalten könnte. Daher habe ich den Mut, Euch hiermit vorzuschlagen, sich im eingangs erläuterten Sinne 

mit Eurer Musik, Euren Ideen und Gesamtkunstwerken an den Integral-Art-Festspielen zu beteiligen, 

sich für das Zustandekommen der Integral-Art-Festspiele einzusetzen und so ohne populistische Anbiederungen dazu beizutragen, das fatale gesellschaftliche Abseits Neuer Musik auf Dauer zu überwinden.

 

Mit guten Wünschen für das Jahr 2021 und einem aufgeklärt-modern gedachten ”soli Deo gloria”, 

 

H.Johannes Wallmann – integral-art.de

 

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*neben der BAUHÜTTE KLANGZEIT WUPPERTAL (gefördert u.a. vom Kulturprogramm der EU) z.B. GLOCKEN REQUIEM DRESDEN (Stadtklang-Komposition, Liveübertragung DRadio, MDR, BBC London, Radio Washington D.C.), KLANG FELSEN HELGOLAND (Landschaftsklang-Komposition, Liveübertragung NDR Kultur), INNENKLANG - Musik im Raum für 4 Orchestergruppen und Soprane (Liveübertragung DRadio mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin aus dem Berliner Dom), der-gruene-klang.de, der-blaue-klang.de (Landschaftsklang-Komposition für das Welt-UNESCO-Kulturerbe “Wörlitzer Anlagen – Garten der Aufklärung”), ich-schweige-nicht.de (Jürgen- Fuchs-Projekt –Musik im Raum und Skizzierung einer weltweiten Linie geistig-kulturellen Widerstehens; gefördert u.a. durch die Kulturstiftung des Bundes) oder die 5 SOLO-UNIVERS-Konzerte (u.a. mit Spitzensolisten sowie der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, gefördert vom Berliner Hauptstadt-Kulturfonds, Koop. Deutschlandfunk).

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Email vom 27.11.2020 an fridays for future

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