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12 Überlegungen zu einer Reform der Urheberrechtspraxis

(aktueller Hinweis: LIQUID ORCHESTRA - Podiumsdiskussion und Konzert - Livestream; 3.10. 2012 Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie)

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"Das Beste, was wir haben, erfordert einen solch immensen Schutz, dass es unsere Fähigkeiten übersteigt, es derart gut zu beschützen, dass es sich lange genug halten kann, um seine Wirkung überhaupt voll entfalten zu können. Das ist die Frage vor der wir heute stehen."

(Mary McDonnell, amerikanische Film-Schauspielerin im Dokumentarfilm "Mr. President")
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Meine Position zu Fragen des Urheberrechts

Ich bin der Auffassung, dass sich die Piraten breiter aufstellen und Fragen des Urberrechts gründlicher als bisher überlegen sollten. Daher möchte ich nachfolgend 12 Überlegungen zur Reform der Urheberrechtspraxis zur Diskussion stellen. Mit Punkt 1 knüpfe ich direkt an der Position der Piraten an. (Entwurf, Stand 4.7. 2012):

1. Der uralte Traum, alles Wissen und alle Kultur der Menschheit zusammenzutragen, zu speichern und heute und in der Zukunft verfügbar zu machen, ist durch die rasante technische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte in greifbare Nähe gerückt. Wie jede bahnbrechende Neuerung erfasst diese vielfältige Lebensbereiche und führt zu tief greifenden Veränderungen. Es ist unser Ziel, die Chancen dieser Situation zu nutzen und vor möglichen Gefahren zu warnen. Die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen im Bereich des Urheberrechts beschränken jedoch das Potential der aktuellen Entwicklung, da sie auf einem veralteten Umgang mit geistigem Eigentum basieren, der der angestrebten Wissens- und Informationsgesellschaft entgegen steht.

 2. Wie auch bei vielen Urhebern selbst besteht gesellschaftlich ein vitales Interesse daran, den unkomplizierten gesellschaftlichen Austausch von Wissen und kulturellen Informationen aller Art zu gewährleisten. Wir setzen uns daher im Hinblick auf moderne Kommunikationstechnologien für eine Reform der Urheberrechtspraxis ein. Sie soll im Sinne der Urheberschaft und zugunsten gesellschaftlicher Entwicklungen und echter Neuerungen wirksam werden sowie die Entfaltung hoher Qualität und Schöpfungstiefe fördern.

3. Im Hinblick darauf bekennen wir uns ausdrücklich zum Grundgesetz, zu der in Artikel 5 formulierten Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung, Lehre sowie zum Schutz des Urhebers. Denn Urheber sind für die Entwicklung einer modernen Gesellschaft von großer Bedeutung und Urheberleistungen wichtige Faktoren gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen. Jede moderne Gesellschaft muss deshalb ein vitales Interesse am Schutz von Urhebern haben und damit daran, ihnen ein Schaffen in Freiheit und Würde zu ermöglichen. 

4. Unsere Warnung richtet sich vor allem gegen Verwertungsgesellschaften, die durch ihre Praxis den Schutz der Urheber zugunsten einer kleinen Klientel sowie zum Nachteil der Gesellschaft als Ganzes missbraucht und ausgehöhlt haben. Die Reform der Urheberrechtspraxis schließt daher eine entsprechende Reform der Verwertungsgesellschaften sowie deren umfassende Transparenz ein. 

Zumal viele Urheber mit wenig Geld auskommen müssen (und echte Neuerungen durch die Raster - z.B. der GEMA - fallen), sollte es ihnen möglich gemacht sein, ihre Werke im Internet frei zu kommunizieren. "Denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit, und von der Nothwendigkeit der Geister, nicht von der Nothdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen" – so Friedrich Schiller. Angesichts dieses Gedankens müsste es nicht zuletzt auch darum gehen, die »Verpachtung der Sinne« (Marshall McLuhan) an ideologische, kommerzielle oder egozentrische Interessen zu ächten. Das aber kann nur ein kultureller Prozess sein, der auf alle Überwachung verzichtet.

5. Weil wir (auch angesichts von Überwachungssystemen, die in totalitären Staaten – z.B. China oder Iran – zur Anwendung kommen) dafür eintreten, das Internet vor jeglicher Überwachung zu schützen, lehnen wir die Überwachung und Beschränkung des Austausches von Wissen und kulturellen Informationen ab. Im Zusammenhang mit der freien Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken treten wir zugleich dafür ein, dass genaue Quellenangaben zu den genutzten Werken zum ethisch/moralischen Standard jeder modernen Kultur- und Informationsgesellschaft werden.

6. Um Urhebern eine angemessene Entgeltung ihrer Leistungen zukommen zu lassen, könnten diese z.B. mittels Urheberpauschalen entgolten werden, die von den Verwertungsgesellschaften im Land des Endverkaufes auf die jeweiligen technischen Geräte - z.B. Computer - erhoben und nach differenzierten und transparenten Kriterien an die Urheber ausgeschüttet werden. 

7. Um jedem einzelnen Urheber eine angemessene Entgeltung seiner Leistungen zu gewährleisten, sind eine Reihe von Klärungen und Differenzierungen notwendig, durch die die einzelnen Urheber und ihre Werke angemessen eingeordnet und bewertet werden können. „Masse“, Spaß und die Bedienung von Gewohnheiten einerseits sowie „Qualität“  und echte Neuerung andererseits müssen im Sinne einer intelligenten – zukunftstragfähigen - Entwicklung der Gesellschaft sorgsam gegeneinander abgewogen werden (was keine leichte Aufgabe ist).

8. Eine – über das Internet hinausgehende – kommerzielle Nutzung von Urheberleistungen wäre über differenzierte Lizenserteilungen zu gewährleisten, die vom politischen Gemeinwesen verantwortet und gesteuert und von den Verwertungsgesellschaften entsprechend realisiert werden sollten. Auch hier ist höchste Sorgsamkeit nicht zuletzt hinsichtlicht sozialer Faktoren geboten.

9. Mittels des Instrumentes der Lizenserteilungen wären z.B. auch Grundlagenforschungen an Universiäten und Hochschulen zu refinanzieren. Um darüber hinaus den Ideenpool der Gesellschaft zu verstärken, könnten z.B. „Ideen-Börsen“ eingerichtet werden.

10. Die Beschränkung von urheberrechtlichen Schutzfristen sollte in der Piratenpartei Gegenstand weiterer Diskussionen sein. Was interessieren Schutzfristen, wenn das Internet unüberwacht bleibt? Relativ lange Schutzfristen tragen u.a. jedoch dazu bei, das Werk eines Urhebers archivieren und vor dem Zerfall schützen zu können, aber auch z.B. Ehepartner, die ihr Leben ebenfalls dem Zustandekommen eines Werkes widmeten, vor dem finanziellen Ruin zu bewahren. Es muss jedoch in jedem Falle gewährleistet werden, dass die Verwertungsgesellschaften den Nutzen aus langen Schutzfristen tatsächlich an die Urheber und ihre Erben weiterreichen (wovon gegenwärtig kaum die Rede sein kann).

11. Da das Urheberrecht nicht nur die wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft, sondern auch die kulturelle Qualität und Kommunikation und somit das politische Gemeinwesen als Ganzes betrifft, ist es wesentlich, eine Balance zwischen kultureller Verantwortung und kommerzieller Verwertung zu gewährleisten, die im Internet jedoch ohne jegliche Überwachung auskommen muss.

12. Millionen Inhaber „geistiger Werke“ mussten in der Vergangenheit für ihre Ideen und Erkenntnisse bluten, mussten mit dem Tod bezahlen, wurden als Aufrührer gekreuzigt, als Ketzer verbrannt, als "entartet" verfolgt, in KZs und GULAGS zu Tode geschunden, als „spätbürgerlich- dekadent“ und "feindlich-negativ" kaputt gespielt. Jene Urheber, die sich der (geistigen) Versklavung entziehen konnten, sind wichtige Quellen und Antriebsmotoren neuer geistiger Entwicklungen. Sie stehen damit immer auch in der Verantwortung und müssen in die Lage versetzt sein, für ihre Erkenntnisse und Konzepte (die letztlich um der allgemeinen "Schwarm-Intelligenz" willen entstanden) eintreten zu können. Im Hinblick auf die Horrorvision von Orwells "1984" muss zugleich verhindert werden, dass wesentliche Erkenntnisse und Ideen umgeschrieben, gefälscht, ghettoisiert oder ihre Kommunikation unterbunden werden kann.

H.Johannes Wallmann, 21.5./4.7. 2012

 

Nachtrag: 22.05.2012 um 18:55, jow: Genozidforscher rechnen mit ca. 70 Millionen Toten durch Mao zu Friedenszeiten, 29-46 Millionen Toten in den sowjetischen GULAGS (versklavt, verhungert, erfroren), mit 1,2 Millionen bestialisch Erschlagenen in Kambodscha. Darüber hinaus gab es unzählige gebrochene Biografien mittels “Zersetzung” (für punktgenaue “Kombinationen von Zersetzungsmaßnahmen” hatte die DDR-Stasi dicke Lehr- und Wörterbücher). “Geistiges Eigentum” wurde quasi nur respektiert, wenn es zur Staats-Ideologie passte. Andernfalls ab in die GULAGs oder die “Zersetzungsmaßnahmen”. Die Zerstörung des Individuums und seines “geistiges Eigentums” sollte als Menschheitsverbrechen für immer geächtet sein. Erst Recht von den "Piraten".

www.ich-schweige-nicht.de

 

 

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