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Schwarmintelligenz

Schwarmintelligenz – eine Betrachtung von H.Johannes Wallmann

Schwarmintelligenz – eine Betrachtung von H.Johannes Wallmann

Wenigstens zwei Dinge dürften klar sein: Ein Schwarm ist eine große Bewegung. Und Intelligenz bedeutet letztlich: nicht zu dumm zum Überleben zu sein. Heute allerdings scheint es schon fast außer Frage zu stehen, dass wir Menschen als Schwarm „zu dumm zum Überleben“ sind, wie der Verhaltensforscher Konrad Lorenz einmal diagnostizierte und wie die Weltklima-Konferenzen vor Augen führen. Zwar drängt die Zeit, doch sind noch immer intelligente Alternativen zu unserem gegenwärtigen Schwarmverhalten denk- und machbar.

 Hinsichtlich des menschlichen Schwarmes gilt es zunächst allerdings zu beachten, dass sich dieser gegenwärtig in einer besonderen – einer evolutiv vollkommen neuen – Situation befindet. Denn noch nie in ihrer bisherigen Evolution konnte die Menschheit so tief in kleinste Teilchen (z.B. in Atome, Gene, Ozon) und damit in große langfristige Lebenszusammenhänge eingreifen, wie das nun mit den modernen Technologien möglich geworden ist. Daher war die Menschheit – soweit wir ihre Geschichte kennen - noch nie selbst so unmittelbar für das Leben als Ganzes auf diesem Planeten verantwortlich, wie in dieser evolutiv neuen Situation. In ihrer bisherigen Evolution konnten sich die menschlichen Schwärme mehr oder minder auf die in der Natur vorhandenen Ressourcen und Regenerationskreisläufe verlassen. Weil das nun nicht mehr funktioniert, ist für alle menschlichen Schwärme gemeinsam ein wesentlich intelligenteres Schwarmverhalten notwendig geworden, als in der Vergangenheit bisher allgemein üblich. Zumal sich menschliche Schwärme in den vergangenen Jahrhunderten auf das Umbringen anderer Schwärme sowie auf die rücksichtlose Ausbeutung von Mensch und Natur spezialisiert haben, kommt es angesichts der evolutiv neuen Situation nun auf einen gut reflektierten neuen Ansatz an. 

Heißt Schwarmintelligenz, dem Schwarm zu folgen? Oder heißt Schwarmintelligenz, der Intelligenz zu folgen? Wie war das eigentlich mit einem Sokrates, einem Jesus, einem Kopernikus, einem Jan Hus und jenen vielen anderen Denkern, die zur Strafe für ihre Fragen und Erkenntnisse getötet wurden? Hätten sich diese besonders intelligenten Menschen aus heutiger Sicht lieber doch dem allgemeinen Schwarmverhalten anpassen sollen? Oder liegt die Herausforderung viel eher darin, dass sich der Schwarm der besonderen Intelligenz einiger weniger Individuen anschließt? Woran aber ließe sich erkennen, ob es sich um tatsächliche oder um vorgebliche Intelligenz handelt? Wie können wir verhindern, uns künftig neuen „Hitlers“, „Stalins“, „Maos“ und ähnlich katastrophalen „Heilsbringern“, Neurotikern und Lügnern oder auch nur unserer eigenen Tumbheit auszuliefern? 

Gehen wir einmal davon aus, dass es innerhalb des menschlichen Schwarmes einzelne Individuen gibt, die zur Ausprägung seltener Gedanken in der Lage sind, die für das künftige Überleben der Menschheit von höchster Bedeutung sein könnten. Wie können wir wissen, in genau welchem Kopf sich solch eine Spitzenleistung formuliert? Verhält sich ein Schwarm dann etwa intelligent, wenn er große Gruppen seiner Individuen (mit möglichen Spitzenleistungen) ausgrenzt, verhungern lässt oder gar mutwillig umbringt, wie das z.B. im Nationalsozialismus und Realsozialismus geschah? Überhaupt: Von welchen Interessen, Ängsten und sonstigen Gefühlen lassen menschliche Schwärme sich leiten? Z.B. im Nationalsozialismus, als Zigmillionen begeistert „Heil“ brüllten, z.B. im Realsozialismus, als Zigmillionen jahrzentelang ängstliche Anpassung und Mitläufertum übten? War das wirklich nur Sozialbestechung? Was ist mit einem Kapitalismus, der Millionen Menschen verknechtete und Hungers sterben ließ, obwohl genug für alle da wäre? Sozialbestechung?  Und was bedeuten in diesem Kontext die erniedrigenden Methoden und der Sozialbetrug von Hartz4? Lässt sich, wie die Menschheitsgeschichte offenbar nahelegt, das Schwarmverhalten von Menschen vor allem mittels Sozialbestechung („Anfüttern“) sowie der Erregung von nationalen und religiösen Gefühlen steuern? Unter welchen Einflüssen verhalten sich Schwärme generell intelligent oder dumm? Kann der menschliche Schwarm als intelligent gelten, wenn er um kurzfristiger Vorteile willen seine eigenen Lebensgrundlagen ruiniert? Verhält sich ein  Schwarm intelligent, wenn er einem allgemeinen „Anything goes“ frönt und die Gefahren ignoriert, die sich um ihn herum (und aus ihm selbst heraus) aufbauen? Was ist mit jenen Emotionen, die heute mittels der Unterhaltungsindustrie schwarmhaft verbreitet werden und menschliche Gehirne quasi unbemerkt mittels „netter“ Gewohnheiten und Klischees domestizieren, ihnen eine „schöne neue Welt“ und entsprechende Identitäten suggerieren? Und wieso wirken emotional übertragene Informationen viel tiefer und stärker als die rational übertragenen? Marshall McLuhan schreibt zu diesem Problemfeld in „Unterstanding Media“: „Wenn wir einmal unsere Sinne und unser Nervensystem der persönlichen Manipulation jener überlassen haben, die unsere Augen und Ohren pachten und Zinsen daraus zu schlagen versuchen, bleiben uns eigentlich keine Rechte mehr“. Liegt angesichts der evolutiv vollkommen neuen Situation in der „Verpachtung der Sinne“ die eigentliche Hemmschwelle intelligenten menschlichen Schwarmverhaltens? 

Wenn das Leben als ein großes organismisches Selbstorganisationssystem zu betrachten ist, dann heißt es auch für uns Menschen, uns sowohl als Schwarm wie auch als Individuen entsprechend organismisch-intelligent zu verhalten. Im Grunde haben wir durch unsere Evolution dafür alle Anlagen mitbekommen. Denn wir sind ihr Teil, sind Teilhaber ihrer universellen Intelligenz, durch die sich das Leben auf diesem Planeten überhaupt erst selbstorganisieren konnte. Die modernen Naturwissenschaften geben uns davon einen Begriff. Und auch viele geniale Kunstwerke (nicht zuletzt der Moderne!) führen uns die schier unglaublich kreative Intelligenz von Menschen vor Augen und Ohren. Jedoch hat die bisherige Evolution der menschlichen Spezies auch eine Menge von Ideologie- und Machtbarrieren mit sich gebracht, die es – so wir überleben wollen – nun endlich zu überwinden gilt. Eine ganze Reihe friedlicher Instrumentarien stehen uns dafür zur Verfügung. Kultur ist vielleicht eines der wichtigsten, denn sie konfiguriert die Gemüter und vermag das Verhalten großer menschlicher Schwärme ganz wesentlich zu prägen. 

Was aber macht die menschliche Intelligenz selbst aus? Ist sie nicht generell darauf angewiesen, die Erkenntnisse anderer – nicht nur der Gegenwart, sondern der gesamten Kulturgeschichte – aufzugreifen, zu reflektieren, weiter zu entwickeln? Reichen offene Wahrnehmung, Verknüpfung, Interaktion, das Streben nach Erkenntnis und Freiheit sowie das Bewusstsein unserer selbst - um nur einige der Faktoren zu nennen – dafür aus? Nein, es bedarf eines neuen kulturellen Wertesystems, in dem  Erkenntnisurteile und Werteurteile sich durch Ping-Pong-Effekte gegenseitig aufschaukeln und weiter entwickeln. Sehr wesentlich auch, Intelligenz nicht mit Intellekt zu verwechseln. Denn Intelligenz betrifft eben nicht nur das Rationale, sondern ebenso das Emotionale, nicht nur das Verstehen der Teile, sondern ebenso das Empfinden für´s Ganze, nicht nur die kleine Analyse, sondern ebenso die große Synthese, nicht nur die männliche, sondern ebenso die weibliche Intelligenz. Das Ganze wird gleichermaßen wie die Teile zu beachten sein, der Schwarm gleichermaßen wie sein einzelnes Individuum. Denn erst wenn sich die unterschiedlichen Bereiche und Faktoren in gegenseitigem Wechselspiel potenzieren, kann sich ein volles und ganzes Bewusstsein entwickeln. Und nur dann wird die Menschheit weiterhin eine echte Chance auf diesem Planeten haben. Kultur wird dann (versehen mit einem großen Anteil transkultureller Qualitäten) als Identitäspool sowie Werte- und Intelligenzübertragungssystem entwickelt und gelebt werden können, anstatt der Domestizierung des menschlichen Geistes zu dienen. Demokratie wird dann bald als geduldige gemeinsame Suche nach den richtigen Lösungen praktiziert werden, anstatt nur ein Gang an die Wahlurne zu bleiben. Traditionen werden dann nicht als Ideologien herrschen, sondern – unter Wahrung ihrer Werte - als Humus für Innovationen begriffen und genutzt (oder auch bewusst fallen gelassen) werden können. 

Unterstrichen sei nochmals, dass sich das ganze Potential von Schwarmintelligenz erst im Wechselspiel zwischen Schwarm und seinen einzelnen Individuen entfalten kann. Erst dieses Potential würde uns in die Lage versetzen, die eingangs genannte evolutiv neue Situation der Menschheit zu bewältigen, dafür die Ideologie- und Machtbarrieren zu überwinden, Demokratie und Kultur zu erneuern, Wirtschaft „ökolonomisch“ umzugestalten, das Sozialmanagement human auszubalancieren sowie die natürlichen Austauschkreisläufe gesunden zu lassen. Müssen stattdessen erst noch die ganz großen selbstproduzierten Katastrophen kommen? 

Es sprechen viele Anzeichen dafür, dass der menschliche Schwarm schon im Aufwachen begriffen ist. Er muss „nur noch“ ganz aufwachen, d.h. sich ein volles und ganzes Bewusstsein verschaffen, um zu den in ihm selbst liegenden zukunftstragfähigen Ideen und Konzepten vorzudringen, diese  ermutigen, ermuntern. Learning by doing. Bildung, Vernetzung, Transparenz, liquid feedbeack, integrale Reflexion, konstruktiv-kritische Zusammenarbeit, Toleranz, gegenseitige Unterstützung, Goldene Regel sowie moderne Technologien, Wissenschaften und Künste sind einige der Stichworte einer neuen Schwarmintelligenz-Kultur, Internet und Computer zwei ihrer wesentlichen Instrumente. Gelänge es, diese intelligent zu gebrauchen und von Überwachung frei zu halten, werden sie die Entwicklung der menschlichen Schwarmintelligenz enorm beschleunigen. Diese wird dann nicht länger zu dumm zum Überleben, sondern ein Intelligenzschwarm sein, ein Schlüssel für die Zukunft der Menschheit, die hier bei uns selbst beginnt. 

Wäre das wirklich nur ein frommer Wunsch in „Gottes Ohr“?

 H. Johannes Wallmann Berlin, am 21.7. 2012

www.integrale-moderne.de

12 Übrlegungen zu einer modernen Urheberrechtspraxis

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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