Die Erde mit den Ohren umarmen ... Projekte jenseits des Konzertsaals
Es
sind Kindheitserlebnisse von Weite, Klang und Landschaft, die 25 Jahre
später zur Entwicklung meines Integral-Art-Konzeptes beitrugen. Denn
schon als kleiner Junge hatten mich die Bewegungen, der Hall und die
Verebbungen von Klängen in Räumen und Landschaften ausserordentlich
fasziniert. Zunächst schrieb ich - meist mit konkreten Räumen im
Hinterkopf - einige Jahre Musik-im-Raum-Kompositionen. Danach war es
logisch, darüber hinauszugehen. So entwickelte ich das
Integral-Art-Konzept, das sechs Domänen enthält, die grösstenteils auf
andere Aufführungsformen und Orte hinauslaufen, als Konzertsaal und
Opernhaus es sind. Eine dieser Domänen heisst: „ZEITKLANG/KLANGZEIT IN
LANDSCHAFT UND ARCHITEKTUR. Nachdem wir 1988 dafür einen radikalen
Ortswechsel vollzogen hatten (entweder man wirft seine Konzepte in den
Papierkorb oder tritt für ihre Umsetzung ein) und per Ausreiseantrag
dem Käfig DDR entkommen waren, habe ich 1990-93 die praktische Arbeit
der "Bauhütte Klangzeit Wuppertal“ unter den Titel dieser Domäne
gestellt. Es ist die Domäne, der meine Arbeit der 90er Jahre vor allem
gewidmet war. Einige gedankliche Hintergründe dazu sollen hier genannt
sein.
Der erste Gedanke besagt, dass die Neuordnungen
des musikalischen Materials (wie sie etwa bei Schönberg und Webern
ihren Anfang nahmen und im Serialismus oder mit der Einbeziehung des
Zufalls weitergeführt wurden) künstlerische und kulturelle
Innovationspotenzen in sich bergen, die weit über den Konzertsaal und
das Opernhaus hinausweisen. Sie beinhalten so etwas wie einen
Sprengstoff für die - unter den Repräsentationsprämissen vergangener
Zeiten entwickelten - kulturellen Rahmensetzungen und können naturgemäß
nicht mit ihnen harmo-nieren. Da die Konzertsäle und Opernhäuser zudem
in den meisten Fällen durch Interpreten und durch ein Publikum besetzt
sind, die den Entwicklungen der Neuen Musik nur in den seltesten Fällen
aufgeschlossen gegenüber stehen, gelingt der Versuch selten, neue Musik
und neue Auf-führungsformen in die alten Institutionen hineinzubringen.
Demgegenüber scheint es sinnvoll, Orte zu suchen, die unbesetzt und
geeignet genug sind, um mit Neuordnungen des musikali-schen Materials
und ungewohnten künstlerischen Wahrnehmungsqualitäten zu harmonieren.
Der zweite Gedanke besteht darin, dass die Musikgeschichte des
20.Jahrhunderts zahlreiche Ansätze liefert, über Konzertsaal und
Opernhaus hinauszudenken. Claude Debussy beschrieb in seinem Aufsatz
»Musik im Freien«: »die Möglichkeit einer Musik, die besonders für´s
Freie geschaffen ist«. Charles Ives’ Idee der »Universe Symphonie«, die
ebenfalls für Aufführungen im Freien gedacht war, rührte aus dem
Erlebnis der Gleichzeitigkeit »aufeinander nicht bezogener
musikalischer Ereignisse«. Eric Satie formulierte die Idee einer
»musique d´ameublement« und schrieb: »man muß versuchen, eine musique
d´ameublement zu realisieren, ... die Teil der Geräusche der Umgebung
ist.« John Cage öffnete das Fenster seines New Yorker Appartements und
erklärte die Straßengeräusche, die hereindrangen, zu Musik. Und Murray
Schafers Theorie der Akustischen Ökologie kann als Erwiderung auf Cage
verstanden werden. Diese Ansätze betreffen einerseits die Wahl
konkreter Orte, andererseits die Frage danach, was Musik überhaupt sei.
Meines Erachtens wird es künftig um die Neubestimmung von Musik als
einer bewußteren akustischen Gestaltung der menschlichen Lebenswelten
überhaupt gehen. Das heisst u.a. auch, Stille zu schaffen. Vor den
Komponisten der Zukunft liegt damit ein weites Tätigkeitsfeld jenseits
des Konzertsaals.
Der dritte Gedanke betrifft die Frage nach denkbaren Aufgabenstellungen
künftiger Künstlergenerationen. Die künstlerischen Neulanderkundungen
des 20. Jahrhundert haben den allergrössten Teil der weissen Flecken
auf ihren Landkarten des Neuen bereits getilgt. Heute ist alles
denkbar, aber es ist kaum noch ein Vergnügen, den Versuchen
beizuwohnen, das Neue mit dem noch Neueren zu übertrumpfen. Wie die
Neuaufgüsse alter Schablonen wirkt das immer noch neuer-sein-wollen,
weil es eine einstmals aktuelle Geisteshaltung repetiert, die bereits
weitgehend ihre Pflicht erfüllt hat. Die grosse Aufgabe künftiger
Künstlergenerationen wird m.E. darin liegen, dass sie „ins Grosse
denkend“ das errungene Neuland auf seine kulturellen Implikationen
prüft und die als essentiell erkannten Werte mit künstlerischer und
handwerklicher Kompetenz in die Zentren gesellschaftlichen Lebens
implementiert. Hierbei wird es wohl kaum um die Materialfetischismen
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehen, sondern in erster Linie
um die künstlerische Wahrnehmung integraler Zusammenhänge
(universeller, sozieller, individueller Art), die mit den jeweiligen
Orten und Daten verbunden werden können. Diese Wahrnehmung integraler
Zusammenhänge kann durchaus „neu“ und verrückt sein, wenn auch nicht um
des Neuen und Verrückten, sondern um der Wahrnehmung der integralen
Zusammenhänge willen. Vermutlich werden das nur uneitle künstlerische
Projekte und Überlegungen, die den Mut zu dem von Buckminster Fuller
geforderten „Denken ins Grosse“ aufbringen, schaffen können.
Ein weiterer Gedanke betrifft die vielgeschmähte Frage nach dem
Verhältnis von Kultur und Kunst. Ein neues Verständnis dessen, was
Kultur und Kunst in einer künftigen Gesellschaft ausmachen könnte, ist
dringend notwendig. Ich kann an dieser Stelle nur versuchen, die Idee
einer Antwort zu skizzieren: Kultur wäre nach dieser Idee als ein
dynamischer Prozess zu verstehen, der die Verknüpfung der
unterschiedlichen Daseinsebenen menschlichen Lebens zu gewährleisten
hat. Dafür bedarf es konkreter Strukturen, die - vergleichbar der
Hardware eines Computers - ein bestimmtes Informations-, Regel- und
Energieübertragungssystem bilden. Während dieses System als „Kultur“ zu
bezeichnen wäre, wäre Kunst die „Software“ und eine Form der Energie
selbst. Doch was sollte das für Energie sein? So, wie Information eine
spezielle Form von Energie ist, so ist die integrale
Intelligenzleistung von Kunst eine spezielle Form von Information. Das
Wörtchen „integral“ ist dabei Programm. Es meint nicht nur die
gegenseitige Ergänzung von Rationalem und Emotionalem, von
Synthesischem und Analytischem, von
Individuellem-Soziellem-Universellem, nicht nur die interdisziplinäre
Zusammenarbeit. Sondern es meint die Wahrnehmung von Gesamtzusammenhang
als einem dynamischen Prozess, in dem sich die unterschiedlichsten
Teile synergetisch ergänzen. Auch wenn dieser Gesamtzusammenhang offen
ist und niemals als Ganzes wahrgenommen werden kann, so kann er stets
in seinen Teilen und deren Form, Farbe, Klang wahrnehmbar sein. Im
Hinblick darauf besteht für den Komponisten nicht mehr allein die Frage
der Wahl und der Komposition des Klangmaterials, sondern ebenso die
Wahl des Ortes sowie die der intelligenten Verknüpfung aller damit
zusammenhängenden Randbedingungen. Da jeder Ort ganz spezifische
Möglichkeiten enthält, ist eine jeweils konkrete orts- und zeitbezogene
kompositorische Strukturgebung unabdingbar.
Hier beginnt nun meine konkrete künstlerische Arbeit, die teils mit
sehr aufwendigen Recherche-Arbeiten verbunden ist und, wenn auch nicht
das Spektakuläre, so daoch alles Spektakel zu vermeiden sucht. Ihr
liegt die Lust auf musikalische Erfahrungen integraler Zusammenhänge
zugrunde, die in Konzert- und Opernhäusern nicht möglich sind. Neben
meinem Intresse an stringenten kompositorischen Strukturen steht bei
mir ganz vorn ein tief ursprüngliches Intresse an den Akustiken
architektonischer und landschaftlicher Gegebenheiten. Sie bilden für
mich den grossen Reiz und die wichtige Motivation, die Realisierung
eines Projektes durchzubringen. Das Glück, speziell für die Akustik von
Räumen und Landschaften kompositorisch zu arbeiten, hat etwas mit den
sensiblen akustischen Relationen von Entfernungen zu tun, mit dem
lauter und leiser, dem Stärker- und Schwächerwerden der Klänge, aber
auch mit der Resonanz oder der Brechung von Schall und Hall. Es ist
etwas ganz Wunderbares, Klänge von fern heranziehen und sich wieder
entfernen zu hören, wie etwa bei „Klang Felsen Helgoland“, wo an einem
850 Meter langen Abschnitt am Fusse der schroffen Felsenküste
computergesteuert über sechs grosse Boxenaufbauten live erzeugte Klänge
der Helgoländer Orgel entlangwanderten, wobei es klang, als würde das
Meer singen. Ebenso so spannend ist es - wie z.B. mit
Zeit-Klang-Landschaft - das Wechselspiel zwischen nahen und fernen
instrumentalen Klängen innerhalb eines domartig klingenden
Baumbestandes auf einer grossen Wiese, etwa im Goethe-Park bei Weimar,
zu verfolgen. Die Aksutiken von Landschaften und Räumen sprechen eine
je eigene Sprache. Auf sie muss sich der Komponist voll einlassen, wenn
Synergien als Ergebnis der gegenseitigen Ergänzung - hier von
natürlichem Vorhandensein und künstlerischem Gestalten - entstehen
sollen. Integral geht es darum, Gesamtzusammenhang anstatt den
Ich-Ausdruck des Künstlers erlebbar werden zu lassen. Die Einbeziehung
aller Randbegingungen, wie z.B. das Singen der Vögel, die
weitentfernten Verkehrsgeräusche, die Stille des Nachthimmels bilden
dafür die Voraussetzung.
Auch die komplizierte Akustik des Berliner Domes am Lustgarten, in der
die nachfolgenden Töne meistens von dem starken Nachhall der zuvor
erklungenen erschlagen werden, war eine Herausforderung, wenn auch ganz
anderer Art. Hier z.B. habe ich neben der räumlichen Aufteilung der
Orchestergruppen und Soprane mit bestimmten Klangskalen gearbeitet,
durch die die vorangegangenen Töne die nachfolgenden unterstützten,
anstatt sie zu erschlagen. Das Ergebnis war eine klare Durchhörbarkeit
dieses sonst kaum durchhörbaren Raumes. Zudem implementiert eich für
die Dauer der Aufführung dem Dom, der einstmals als Denkmalskirche für
die Repräsentatnten des preussischen Militätstaates errichtet wurde,
durch die Musik und durch die in die Partotur geschriebenen
Zukunfs-Texte von Rosa Luxemburg, Anne Frank, Dietrich Bonhoeffer und
Rudolf Bahro eine Denkrichtung, die durch die Widmung der CD zugunsten
von amnesty international unterstrichen wurde.
Um den integralen Ansatz ging es ebenfalls bei meinem Projekt für die
Wuppertaler Schwebebahn. Ich konzipierte in drei Schichten Tausende von
Klangvarianten, die sich - erzeugt durch einen computergesteuerten
Syntheziser und ein Mikrofon am Fahrgestell - tageszeitenabhängig
veränderten und mit den Eigengeräuschen der Schwebebahn vermischten.
Auch hier eine Gratwanderung. Während zahlreiche Fahrgäste lange
Wartezeiten in Kauf nahmen, um mit der Bahn zu fahren und die Klänge
hören zu können, gab es Protest seitesn des Gewerkschaftsvorsitzenden,
der sich übergangen fühlte. Andere Schwierigkeiten gab es bei der
Realisierung des Glocken Requiem in Dresden, einer Komposition für 129
Kirchenglocken. Glocken durften nach dem Willen der evangelischen
Kirchenleitung Sachsen nicht als Musikinstrumente genutzt werden. Es
waren viele Verhandlungen und es war vor allem viel Unterstützung von
unterschiedlichsten Seiten notwendig, bis die erforderlichen
Genehmigungen erteilt wurden. Die sekundengenaue Komposition, die von
ca. 96 Mitwirkenden entsprechend der 120 cm langen und 328-seitigen
Partitur auf Grundlage von Funkuhrweckern ausgeführt wurde, hatte neben
der genauen Komposition der Klänge und Tonhöhen auch landschaftliche
Verläufe. Bei der Komposition sass ich vor der Landkarte mit den
Aufnahmen der einzeln recherchierten Glocken im Kopfhörer und legte die
Strukturen dementsprechend an, wobei es sowohl auf die Ausgewogenheit
zwischen der Gesamtkomposition aller Geläute, den mosaikartigen
Teilkompositionen für die einzelnen Geläute, den landschaftlichen
Verläufen von Ort zu Ort und der Fassung für die
Rundfunk-Liveübertragung ankam. Und es war ein kleiner Kulturkampf,
diese alten Instrumente tatsächlich als Instrumente eines Musikwerkes
zu nutzen, sie zu vernetzen und mit ihnen ein ganz neues und anderes
Erlebnis ihres Zusammenklingens zu ermöglichen. Auch dieses Requiem,
das ich sowohl den Opfern der Zerstörung Dresdens durch
anglo-amerikanische Bomber am 13. Februar 1945 gewidmet hatte sowie
„Kindern als Trägern der Zukunft“ erhielt durch dier Herausgabe der CD
zugunsten von „terre des hommes“noch eine besondere Bedeutung.
Ein Essential meiner Projekte ist die Live-Erzeugung bzw.
Live-Übertragung der Klänge. Was den Raum und den Klang der Landschaft
betrifft, ist keines dieser Projekte reproduzierbar; die Wahrnehmung
des Raumes oder der landschaftlichen Zusammenhänge bleibt bei
CD-Reproduktionen oder Rundfunk-Liveübertragungen zwangsläufig auf der
Strecke. Dafür lassen diese ihrerseits Reize der Komposition hörbar
werden, die ohne Mikrofone kaum in Erscheinung treten können. So sind
meine bisherigen Arbeiten in gewisser Weise nichtreproduzierbar.
Und das wird in den meisten Fällen voraussichtlich so bleiben. Eine
Ausnahme wird aber „ARIA - für 7 Soprane und 7 Soundscapes von 7 Orten
der Erde“ sein. Diese Komposition ist von vornherein auf die radiophone
Fassung angelegt. Klänge von allen Erdteilen werden gleichzeitig oder
im Wechselspiel live übertragen zu hören sein und es ermöglichen, mit
den Ohren gleichzeitg an verschiedenen Orten der Erde zu sein, die Erde
sozusagen mit den Ohren „zu umarmen“ . Nicht zuletzt sind für mich seit
1996 im Rahmen der KRYPTONALE die alten Wasserspeicher im Berliner
Stadtbezirk Prenzlauer Berg eine ständige Herausforderung, raum- und
ortsbezogen zu arbeiten. Diese architektonisch äussert interessanten,
aber akustisch problematischen Räume erfordern immer wieder andere
spezielle Problemlösungen, was sie zu einem guten Ort für raum- und
ortsbezogenes künstlerisches Arbeiten macht.
Noch ein Wort zum Publikum. Bei meinen verschiedenen Projekten, zu
denen teils viele Tausende Menschen kamen, habe ich immer wieder
erfahren, was für ein interessiertes und still zuhörendes Publikum es
für solche Musik geben kann. Die offene Situation erlaubt es zu gehen,
aber sehr viele Menschen bleiben oder kommen immer wieder.
Was unterscheidet nun das integrale künstlerische Arbeiten von anderen
Herangehensweisen? Integral meint hier zu allererst, avancierte Kunst
und Lebensalltag miteinander zu verbinden, sie in zentrale Orte
gesellschaftlichen Lebens einzubringen. Und es meint ein sehr
spezielles raum- und ortsbezogenes künstlerisches Arbeiten, das im
Zusammenwirken mit vorgefundenen architektonischen, landschaftlichen
oder anderweitigen Gegebenheiten einen hochdifferenzierten Zusammenhang
wahrnehmbar macht. Die Wahrnehmung dieses hochdifferenzierten
Zusammenhanges sollte weit über die Person, die Kunst- bzw.
Musiksprache und Zeit des jeweiligen Künstlers hinausgehen und in Laut,
Form und Farbe auf den Ausgleich sowie die zeitgemäße Interaktion
zwischen Individuellem-Soziellem-Universellem gerichtet sein. Ort und
Zeitpunkt sowie das Zusammenwirken der unterschiedlichen Teile einer
entsprechenden Performance bilden einen Fokus, durch deren Synergien
der über die Teile hinausgehende Zusammenhang aufscheint. Avancierte
integrale Kunst geschieht in diesem Sinne nicht um ihrer selbst willen
und schon gar nicht, um in expressionistischer Manier dem Ich des
Künstlers zu frönen, sondern um integrale (also auf einen
Gesamtzusammenhang gerichtete) Intelligenz und Energie gesellschaftlich
zu kommunizieren. Ein avanciertes kompositorische Handwerk ist dafür
ebenso Voraussetzung wie eingehende theoretische Reflexionen.
In „positionen 1991/8“ habe ich in meinem Aufsatz „Für eine neue
Avantgarde“ in Replik auf den berühmten Ausspruch von Pierre Boulez
darauf hingewiesen, daß eine neue Avantgarde Opernhäuser Opernhäuser
sein lassen sollte und ein öffentlich wirksames kulturelles Terrain und
Instrumentarium außerhalb dieser beanspruchen solle. Gerade angesichts
dessen, dass die in ihren Traditionen und Ritualen gefangenen Opern-
und Konzerthäuser die finanziellen Ressourcen weitestgehend
absorbieren, scheint mir nach den Erfahrungen der vergangenen 10 Jahre
diese Forderung viel zu brav. Es bedarf dringend gesicherter
materieller Grundlagen, damit Projekte ausserhalb der eingefahrenen
Gleise eine bessere Basis und Chance ihrer Realisierung bekommen. Dazu
werden auch Neuorientierenungen innerhalb der GEMA gehören müssen, die
ihrer diesbezüglichen kulturellen Innovations-Verantwortung gegenwärtig
nicht gerecht wird, ja die genannten innovativen Entwicklungen
weitestgehend blockiert. Wohl kaum ein Komponist kann es sich auf Dauer
leisten zu ignorieren, dass die GEMA entsprechende Klang-Projekte unter
den am schlechtesten abgegoltenen Kategorien verrechnet. Er ist
finanziell gezwungen, die herkömmlichen GEMA-Kategorien zu bedienen,
was künstlerisch und kulturell gesehen ein unhaltbarer Zustand ist. Was
die traditionellen Kulturinstitutionen, insbesonders die der Musik
betrifft, so haben diese kaum Kompetenz für die Kommunikation aktuell
avancierter Intelligenzleistungen entwickelt und dienen hauptsächlich
als Hör- und Sehrohre zurück in die Vergangenheit. Es ist tatsächlich
eine Frage, welchen aktuellen Beitrag sie für den Intelligenztransfer
in der Gesellschaft überhaupt noch leisten. Ich bin zwar nicht der
Meinung, dass im Kulturbereich eine einzige Mark eingespart werden
darf, aber eine Umschichtung zugunsten avancierten künstlerischen
Schaffens ist notwendiger denn je und wäre für die Gesellschaft ein
grosser Gewinn an intelligenter Kommunikation. Zugleich wäre eine
stichhaltige Kritik an der alten Avantgarde, die um der Reinheit ihrer
„ästhetischen“ Ideen willen schnell zu Verurteilungen anderer bereit
war, notwendiger denn je. Nicht, um deren Verdienste zu schmälern,
sondern um zu verifizieren, wo sie möglicherweise zu kurz griff und ob
nicht manch einer ihrer Vertreter die künstlerische Weiterentwicklung
der Gedanken der Moderne (die m.E. noch immer an ihren Anfängen steht)
auf den eitlen Altären des individuellen Erfolges opferte. Seitens der
nachkommenden Künstler ist - möglicherweise infolge dessen - teils
Frustration, teils ein orientierungslos wohlfeiles Verhalten zu
konstatieren, seitens der Veranstalter und Macher sind es die
Machtpositionen, die jede Kritik leicht schon im Munde zu ersticken
vermögen. Insoweit wie die alte Avantgarde nach ihren interessanten
Aufbrüchen sich und die ihr nachwachsende Künstlergeneration den
Rahmensetzungen der Konzert- und Opernhäuser und denen der Macher
überliess, verlor sie für die betreffenden Entwicklungen der Moderne
ihre richtungsweisende Kompetenz. Damit war jenen Rahmensetzungen
Vorschub geleistet, die avanciertes Musikdenken an den Rand drängen.
Die Moderne (als die Epoche, in der der Mensch sein Dasein im Hinblick
auf grosse Zusammenhänge bewußt gestaltend in die Hand nehmen muss,
wenn er seiner Spezies ein Überleben gewährleisten will - und welches
Recht hätte er, dies zu unterlassen?) ist auf die Entwicklung und den
Transfer von avanciert integralen Intelligenzleistungen angewiesen.
Denn die Gesellschaft der Zukunft wird nur so intelligent und
überlebensfähig sein, wie sie im Hinblick auf den Gesamtzusammenhang
des Lebens hoch entwickelte integrale Intelligenzleistungen
gesellschaftlich kommuniziert. Dazu braucht es „Kunst“ und dazu braucht
„Kunst“ neue Orte, mit denen sie ihren Aufgabenstellungen auf effektive
Weise gerecht werden kann. Am Beginn des neuen Jahrtausends wäre es an
der Zeit, dafür vernüftige institutionelle Grundlagen zu schaffen.
|