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Die (Post)Moderne - eine Herausforderung des Gesamtkunstwerks

Vortragsentwurf für den 14.7. 2015 Uni Tübingen / FB Musikwissenschaft - auf Einladung von Prof. Dr. Thomas Schipperges

Copyright H. Johannes Wallmann 2015

Walter Gropius schrieb anlässlich der Gründung des Weimarer Bauhauses 1919: ... bis sich aus den einzelnen Gruppen wieder eine allgemeine große, tragende, geistig-religiöse Idee verdichtet, die in einem großen Gesamtkunstwerk schließlich ihren kristallischen Ausdruck finden muß. Und dieses große Kunstwerk der Gesamtheit, diese Kathedrale der Zukunft, wird dann mit seiner Lichtfülle bis in die kleinsten Dinge des täglichen Lebens hineinstrahlen. ... Wir werden das nicht mehr erleben, aber wir sind, das glaube ich ganz fest, die Vorläufer und ersten Werkzeuge eines solchen neuen Weltgedankens.“

Walter Gropius knüpfte 1919 mit der Gründung des Weimarer Bauhauses ganz bewusst an der Idee der alten Bauhütten des 12./13. Jahrhunderts an und schaffte es trotz vieler Widrigkeiten, vom Bauhaus Signale und Zeichen kultureller Erneuerung ausgehen zu lassen. Die vertiefte gemeinsame interdisziplinäre Arbeit (und das zu schaffende „Gesamtkunstwerk“) kann im Hinblick auf kulturelle Erneuerung als der entscheidende gemeinsame Movens sowohl der alten Bauhütten als auch des Weimarer Bauhauses gelten. Kulturelle Erneuerung ist auch heute eine der ganz großen Aufgabenstellungen. Anders werden wir kaum Zukunft haben.

Wenn das Weimarer Bauhaus auch nicht jene kulturellen Auswirkungen erreichte wie die alten Bauhütten mit den enormen Architekturen ihrer Dombauten, so entfaltete es doch eine Wirkung, die weit bis in das 21. Jahrhundert ausstrahlen wird. Mit dem Ansatz der kulturellen Erneuerung und des integralen Zusammen-wirkens der Künste kann es als ein erster großer Schritt und Versuch gewertet werden, aus der ersten großen Katastrophe der Moderne (dem 1. Weltkrieg) die angemessenen Konsequenzen zu ziehen und eine umfassende kulturelle Innovation in Angriff zu nehmen. Diese umfassende kulturelle Innovation scheiterte allerdings. Vor allem an jenen religiös-national-konservativen Barrieren, die die damals als notwendig erkannte kulturelle Innovation ablehnten und damit der nationalsozialistischen Kulturideologie (sowie dem 2. Weltkrieg und dem Holocaust) Tür und Tor öffneten. Die nationalsozialistische Gleichschaltung der Kultur hatte (ebenso wie die realsozialistische) den gleichgeschalteten Menschen zum Ziel, der - wie quasi schon zuvor - ganz im Sinne der Staatsideologie funktionieren sollte, nun aber totalitär.

Vielleicht ließe sich Oskar Schlemmers Triadisches Ballett als eine burleske Kritik am gleichgeschalteten – quasi mechanisiert gesteuerten - Menschen verstehen. Allerdings zieht Schlemmer mit den überdimensio-nierten Köpfen und Körperteilen seiner Puppen das Mechanisierungs-Problem in die Harlekinade und spielt es damit herunter. Wie schlimm es werden würde, konnte er damals jedoch noch nicht wissen.

Die dem Menschen mit militärischen Drill eingebleute und abverlangte Gleichschaltung bzw. „Mechani-sierung“ war eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, die totalitären Verbrechensmaschinerien von Nationalsozialismus und Realsozialismus zu ermöglichen und in Gang zu halten. Die Gleichgeschalteten – z.B. auch so rennomierte Musikwissenschaftler wie Heinrich Besseler - wurden zu Normaltätern, kassierten dafür ihr Gehalt, konnten ihre Familien ernähren und sich an ihren Feierabenden an der Musik z.B. von Richard Wagner, Anton Bruckner, Ludwig van Beethoven, Richard Strauß laben, im Realsozialismus außerdem an der realsozialistischen Musik z.B. von Prokofjew, Kabalewski oder Schostakowitsch.

Welch neue Totalitarismen drohen für die Zukunft? An der Computerisierung gegenwärtiger Handlungs- und Erlebniswelten ist heute m.E. unschwer zu erkennen, dass das Problem der Gleichschaltung des Menschen keineswegs ein Nebenproblem darstellt. Die Allgegenwart von Total-Überwachung (auf die uns Edward Snowdens Mut einen ungeschminkten Blick ermöglicht hat) zeigt, wohin wir – auch als Menschheit insgesamt - abzutrudeln drohen. Denn die Total-Überwachung bedeutet letztlich totale Kontrolle, Normierung, Gleichschaltung, Mechanisierung und entsprechend unreflektiertes Handeln. Denn normiert/gleichgeschaltet/ mechanisch zu denken und zu handeln, heißt unreflektiert zu denken und zu handeln. Heißt, sich den Mächtigen, die die Gleichschaltung des Menschen für ihre Zwecke betreiben, auszuliefern. Burlesk oder niedlich ist das angesichts der Moderne keineswegs.

Was aber bedeutet Moderne? In meinem 2006 im Pfau-Verlag erschienenen Buch heißt es dazu am Beginn des 1. Kapitels: … (website einblenden): "Wir haben die Moderne noch vor uns; entweder als menschheits- geschichtlichen Qualitätssprung und neues Zeitalter oder als Supergau. Als menschheitsgeschichtlichen Qualitätssprung und neues Zeitalter, wenn wir die evolutiv neue Situation begreifen, in der sich die Menschheit gegenwärtig befindet. Als Supergau, wenn wir diese Situation weiterhin ignorieren und es uns nicht gelingt, uns von den entsprechend ignoranten Ideologien, Verhaltensweisen und Handlungsmaximen zu trennen." Menschheitsgeschichtlich gesehen befinden wir uns also noch ganz am Beginn der Moderne. Die „Postmoderne“ kann als eine Artikulation bestimmter Defizite der bisherigen Moderne gesehen werden. Integrale Moderne bedeutet: wir-können-genügend-Intelligenz-akquirieren-um-alle-erfüllt-leben-zu-können.

Die Postmoderne ist damit erledigt – auch wenn sie zu recht das Ende der bisherigen großen Erzählungen verkündete. Die Moderne dagegen hat sich noch nicht erledigt. Mit ihr geht es nun um das Ganze, um Sein oder Nichtsein der Menschheit.

Doch bleiben wir zunächst beim Ganzen. Mit ihm sind vor allem zwei Aspekte zu beachten.

  1. Inwiefern ist ein Teil als ein Ganzes oder ein Ganzes als ein Teil zu betrachten.

  2. Wann ist ein Ganzes ein Ganzes, wann ein Kaputtes?

Es stellt sich also sowohl die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen den Teilen und ihrem Ganzem, als auch die Frage nach der Qualität des Ganzen – ob und inwiefern das jeweilige Ganze ein Ganzes oder ein Kaputtes ist. Hegel formulierte: „Das Ganze ist das Unwahre“.

Vom Ganzen zu unterscheiden, ist der Alles-Gedanke. Er umfasst sowohl das Ganze, als auch das Kaputte, sowohl Wahrheit als auch Lüge. In der Musik hat Schönbergs 12-Ton-Methode den Gedanken des Ganzen auf neue Art emanzipiert und damit eine Möglichkeit geschaffen, das Ganze musikalisch neu zu denken. Ergänzt wurde Schönbergs Ansatz durch den Alles-Gedanken von John Cage, der das Fenster seines New Yorker Appartements öffnete und die Straßengeräusche, die durch sein geöffnetes Fenster drangen, zu Musik erklärte. Wenn alles Musik ist, dann stellt sich die Frage nach dem, was Musik überhaupt sei, neu und radikal. Der kanadische Komponist Murray Schafer antwortete darauf mit dem Gedanken der „Akustischen Ökologie“, ich mit Integral-Art und dem Gedanken einer Ästh-Ethik (s.a. INTEG. MOD., Kap. 5.11 und 6.2).

Hinsichtlich des Alles-Gedankens sei auch an die Chaos-Theorie erinnert, nach der alles dynamischer Prozess ist - auch Steine, Menschen, Galaxien. Alle dynamischen Prozesse schwingen, verlaufen in der Zeit und greifen dabei Raum, indem sie sich - nicht zuletzt über das Phänomen der Resonanz – mit anderen dynamischen Prozessen verbinden. Alle dynamischen Prozesse stehen untereinander in Wechselwirkung und wirken sich top-down, bottom up, between aufeinander aus. Dieses Sich-gegenseitig-aufeinander-auswirken nenne ich Wirklichkeit. Wir haben es dabei mit dem großen organismischen Selbstorganisationssystem zu tun, das Leben heißt. An seinen „Schräubchen“ drehen wir alle ein bisschen mit.

Zurück zur Musik. In seinem faszinierenden Buch „Das elegante Universum“ über die Superstring/M-Theorie bestätigt der Astrophysiker Brian Greene den alten philosophischen (und in vielen Kulturen kommunizierten) Gedanken, dass das Universum – sowohl makro- wie auch mikrokosmisch – Musikinstrument und Musik zugleich sei. Brian Greene schreibt: „Seit langem schon dient die Musik den Philosophen und Naturforschern, die sich über die Rätsel des Kosmos den Kopf zerbrechen, als Lieblingsmetapher. Von den »Sphärenklängen« der Pythagoreer im antiken Griechenland bis zu den »Harmonien der Natur«, die jahrhundertelang das Leitmotiv der Forschung waren – immer wieder haben wir im majestätischen Gang der Himmelskörper wie im ausgelassenen Treiben der subatomaren Teilchen das Lied der Natur gesucht. Mit der Entdeckung der Superstringtheorie gewinnen diese musikalischen Metaphern eine verblüffende Realität, denn die Theorie geht davon aus, dass die mikroskopische Landschaft mit winzigen Saiten – den Strings – gefüllt ist, aus deren Schwingungsmustern die Evolution des Universums komponiert ist. Nach der Superstringtheroie bringt der Wind der Veränderung das ganze Universum wie eine riesige Äolsharfe zum Klingen.“ Wir sehen daran, wie grundlegend Schwingung ist und wie grundlegend Musik sein könnte.

Da es mit der Moderne um das Ganze und um die diesbzgl. Freiheit und Verantwortung des Menschen geht, geht es um die Frage der menschlichen Intelligenz selbst. Muss sie angesichts der evolutiv neuen Situation in ihrer gegenwärtigern Verfasstheit als „zu dumm zum Überleben“ eingestuft werden (wie der Verhaltens-forscher Konrad Lorenz es einst formulieret)? Manches deutet darauf hin.

Aber was macht Intelligenz eigentlich aus? Einmal davon abgesehen, dass Intelligenz (die sowohl aus rationalen wie aus emotionalen Faktoren resultiert) nicht mit Intellekt verwechselt werden darf, habe ich eine einfache Antwort auf diese Frage: nicht zu dumm zum Überleben zu sein. Unter den Bedingungen der Moderne und der Globalisierung bedeutet nicht zu dumm zum Überleben zu sein jedoch, menschliche Intelligenz nicht länger vor allem auf das einzelne Individuum (auf ICH-AGs) zu beziehen, sondern gleichermaßen auf die Menschheit als Ganzes. Die Binsenweisheit, dass sich die Menschheit aus ihren einzelnen Individuen zusammensetzt, wird angesichts der Übermacht der ICH-AGs leider allzuoft vergessen. Das Katastrophen-Potential der Moderne ist jedoch derart enorm, dass es nur noch mittels hoher Verantwortungswahrnehmung eines jeden Einzelnen im Sinne der Menschheit als Ganzes zu bändigen sein wird. Jeder Flugpilot, jeder Künstler, jeder Wissenschaftler, Chemiker, Biologe, Gen- oder Atomphysiker, jeder Informationstechniker, jeder Politiker, jeder Superreiche, jeder Superarme, jeder Religionsführer, jeder Philosoph usw. usf. - also jeder einzelne Mensch, auch Sie hier alle in diesem Raum! - trägt unter den Bedingungen der Moderne und ihrer evolutiv neuen Situation Verantwortung, als Individuum im Sinne der Menschheit als Ganzes zu handeln. Intelligenz muss daher neu und global verstanden werden - als Überlebensintelligenz der Menschheit als Ganzes. Es geht dabei um nicht weniger als darum, einen Neuen Bund zwischen Individuellem-Soziellem-Universellem zu schließen. Doch wie könnte jeder einzelne Mensch und die Menschheit als Ganzes für das entsprechendes Denken und Handeln konditioniert werden?

Wollen wir nicht im Supergau enden oder „zurück auf die Bäume“, benötigen wir dafür integral-moderne Instrumentarien sowie Kulturen, die ihre Traditionen entideologisieren, aufgeklärt verstehen und neu erschließen. Keine Kultur müsste sich dafür abschaffen oder ihre Wurzeln verraten. Jede Kultur könnte ihre kulturellen Wurzeln als Ergänzung zu den jeweils anderen Kulturen und ihren kulturellen Wurzeln verstehen. In diesem Sinne wäre Kultur neu und aufgeklärt als Werte- und Intelligenzübertragungssysteme zu denken und zu gestalten (wobei es sich darüber gesellschaftlich auseinanderzusetzen gilt, was Werte und Intelligenz bedeuten). Kultur neu verstanden könnte das Konditionierungsinstrument sein, um einen Neuen Bund zwischen Individuellem-Soziellem-Universellem global zu verwirklichen und an der evolutiv neuen Situation nicht zu scheitern. Das mag angesichts unserer von vielen Gefahren bedrohten Welt und des gegenwärtig immer stärker zunehmenden „Kampfes der Kulturen“ vielleicht etwas schwärmerisch und zu positiv klingen, aber welche Alternativen wären denkbar und realistisch?

Würde Kultur als Werte- und Intelligenzübertragungssystem gedacht, könnten die Künste und Wissenschaften als die Intelligenzenergien gedacht werden. Mittels des kulturellen Übertragungssystems sollten diese Intelligenzenergien in die Tiefe der Gesellschaft kommuniziert werden. Auch das mag – gerade hinsichtlich avancierter Musik, die sich in der Regel im gesellschaftlichen Abseits befindet - vielleicht wie ein Wunschbild erscheinen. Dass es funktionieren könnte, dafür habe ich mit meinen quasi präzedenzfallartigen Projekten den Beweis angetreten. Bevor ich darauf zu sprechen komme, möchte ich zunächst noch ein paar Worte zum Gesamtkunstwerk selbst sagen. Denn dieses kann auch im Rahmen einer modernen Kultur ein sehr mächtiger geistig-kultureller Faktor sein.

Ein Gesamtkunstwerk ist deshalb ein Gesamtkunstwerk, weil es künstlerische Ideen und Materialien gestaltet und einbezieht, die im Zusammenspiel der unterschiedlichen Sinne Synergien erzeugen. Zumal ein Gesamt-kunstwerk den Sinnen sowohl einzeln als auch gemeinsam die Möglichkeit gibt, mittels der ästhetischen Wahrnehmung das Ganze des jeweiligen Werkes – aber auch das Ganze über das jeweilige Werk hinaus - zu durchschweifen, kann es zu einem Fokus für das Ganze überhaupt werden. Aber es kann auch das Kaputte als Ganzes imaginieren. Dies zeigt die Gefahren, die mit Gesamtkunstwerken verbunden sein können. Ich habe mit meinen Projekten versucht, solchen Gefahren ganz bewusst zu begegnen.

Hinsichtlich Gesamtkunstwerk müssen natürlich auch Wagners Opern angesprochen sein. Ich denke, dass Wagner für die damalige Zeit (und angesichts der damaligen deutschen Kleinstaaterei) ein durchaus progressives Werk schuf. Doch obwohl musikalisch auf hohen Höhen, bleibt Wagner philosophisch weit hinter den Denkern der Aufklärung (etwa Lessing und seiner Ringparabel) zurück. Sein Werk ist von dem groß aufgestellten „Germanen-Mythos“ (in den er offenbar verblendet war) sowie seinen antisemitischen Ressentiments nicht zu trennen. Wagner hat philosophisch zu kurz gedacht und hat damit solchen Geistern wie Hitler Steilvorlagen geliefert. Gegenüber dem Journalisten Frederick Oechsner soll er geäußert haben: „Für mich ist Wagner etwas Göttliches. Seine Musik ist meine Religion. Ich gehe in seine Aufführungen, wie andere in die Kirche gehen.“ Hitler hatte Wagners Musik und Sujet offenbar derart verinnerlicht, dass er sich selbst wie der Volksheld „Rienzi“ (dem das Volk mit „Heil, Rienzi!“ huldigte) verstand und inszenierte. Ein Beispiel, wie stark und furchtbar der Einfluss eines Gesamtkunstwerkes sein kann.

Jeder einzelne der menschlichen Sinne bildet einen Teilzugang zur Intelligenz und zur Seele des Menschen. Wenn die Sinne mit Geist und Intelligenz zusammenwirken, können sehr starke Synergien entstehen, durch die sich Sinn bildet. Im Zusammenwirken von Geist und Sinnen entsteht Sinn. Aber auch das Gegenteil kann passieren: die Sinne können übertölpelt und Sinn zerstört werden; es entsteht Unsinn, der zum Einfallstor Ungeist und maßlosen Verbrechen werden kann. Angemerkt sei, dass es kein triviales Problem ist, Sinn von Unsinn, Geist von Ungeist zu unterschieden. Die Reflektion des umfassenden ganzen Ganzen kann dafür jedoch sehr hilfreich sein.

James Joyce sprach von „Laut und Form und Farbe“ als den Gefängnisöffnungen der Seele. Die Frage, die sich angesichts dieses Gedankens (aber auch angesichts von Hitlers Wagner) an jedes Gesamtkunstwerk stellt, ist: Geht es mit dessen Anordnungen von „Laut und Form und Farbe“ raus aus dem Gefängnis oder rein ins Gefängnis. Wie verhält es sich mit den „Lauten und Formen und Farben“ der Unterhaltungsindustrie – kommt man durch sie rein ins Gefängnis? In welche Art Gefängnis? In das Gefängnis des Normierten und Gleichgeschalteten, in das Gefängnis der Kunst als Hure? Wie Kunst als Hure funktioniert und missbraucht werden kann, haben uns Nationalsozialismus und Realsozialismus vorgeführt. Aber auch unsere Gegenwart ist vor diesem Missbrauch nicht gefeit. Aldous Huxley warnte zu recht vor Indolenz durch Kitsch und Konsum. Welch emotional verheerende Rolle die überbordende Unterhaltungsindustrie spielt, darf angesichts dessen nicht übersehen werden.

So wenig wie Intelligenz auf Intellekt, so wenig ist Seele auf Intelligenz zu reduzieren. Seele ist durchaus etwas „Metaphysisches“, lässt sich aber auch aufgeklärt betrachten: als das innere Schwingungsmuster des Menschen. Ihre Schwingungen und Energien resultieren quasi aus allen (individuellen, soziellen, univer-sellen) Faktoren, die in einem Menschen zusammentreffen. Festzuhalten ist: Ob Intelligenz oder ob Seele - beide können durch „Laut und Form und Farbe“ enorm beeinflusst werden. Sowohl positiv wie auch negativ.

Bzgl. „Laut und Form und Farbe“ spielt die Wahrnehmung (und spielen unsere individuellen-soziellen Wahrnehmungsfilter) eine zentrale Rolle. Ich möchte nochmals auf James Joyce verweisen, der mE eine Relativitätstheorie der Wahrnehmung schuf. Er spricht von zwei Phasen der Wahrnehmung. Mit der einen Phase geht es um die Wahrnehmung des Ganzen, mit der anderen Phase um die Wahrnehmung der Teile; beide Phasen stehen untereinander in Wechselwirkung. Hierzu sei an einen Gedanken von Immanuel Kant erinnert, der sagte: „Synthesis ist das erste auf das wir achtzugeben haben.“ Ich glaube, Kant hatte überaus recht. Denn was soll die Analyse, wenn nicht um der Synthese willen? Synthese lässt sich als ein anderes Wort für das Ganze betrachten. Das Ganze und die Teile, Synthese und Analyse – darauf sind auch die beiden Gehirnhemisphären des Menschen – die physische Basis der menschlichen Intelligenz – ausgelegt. Die eine Gehirnhemisphäre agiert eher analytisch und rational, die andere eher synthesisch und emotional. Während die eine seit langem mit modernsten wissenschaftlichen Forschungen und Erkenntnisse und entsprechenden Informations- und Energiezufuhren befasst ist, wird die andere (die ihre Informations- und Energiezufuhren sehr wesentlich aus der ästhetischer Wahrnehmung schöpft) jedoch noch immer überwie-gend mit den ästhetischen Relationen vergangener Jahrhunderter bzw. deren zu Kitsch geronnenen Klischees bedient. Die Schizophrenie zwischen dem Ganzen und seinen Teilen ist damit geradezu vorprogrammiert. Denn wenn die emotionalen Relationen und das Synthesevermögen weit hinter den rationalen Relationen und dem Analysevermögen zurückbleiben, können die rationalen Relationen nicht mehr angemessen integriert werden; sie verselbstständigen sich und nehmen zerstörerische Eigendynamiken an. Dann wäre der Mensch (die Menschheit!) „zu dumm zum Überleben“, hätte seine Freiheit und Verantwortung nicht begriffen.

Indem es mit der Moderne um das Ganze und um Synthese geht und sie eine Elementar-Herausforderung der menschlichen Intelligenz ist, ist sie zugleich auch eine Herausforderung des Gesamtkunstwerkes. Denn das Gesamtkunstwerk bildet eine Art Laboratorium der Sinne, durch deren Zusammenwirken Synergien sowie Sinn und Synthese entstehen. Wenn wir die Sinne zudem als die Kontakt-stellen zwischen dem Innen und dem Außen des Menschen verstehen, dann wird deutlich, welch eminente Rolle die ästhetische Wahrnehmung und die Intelligenzenergie der Künste für die Entwicklung der menschlichen Intelligenz sowie ihrer Fähigkeit, Synthesen zu entwickeln, spielt bzw. spielen könnte. Musik, die angesichts der String-Theorie vielleicht als eine der universellsten der Künste gelten kann, zeigt ihr wahres Gesicht, wenn sie den Menschen mittels akustischer Schwingungen auf die universellen Aspekte seiner Existenz und Intelligenz anspricht. (Das Ohr bezeichneten die alten Sumerer übrigens als das eigentliche Organ der menschlichen Intelligenz!) Wenn wir aber bedenken, welch enorme Problem-Bewältigungsbreite die Moderne erfordert, dann ist – vor dem Hintergrund von Kultur als Werte- und Intelligenzübertragungssystem - das Gesamtkunstwerk wohl eines der effektivsten Instrumentarien, um die notwendige Intelligenzenergie zur Bewältigung der evolutiv neuen Situation zu aktivieren. Nicht zuletzt weil es in der Lage ist, die Frage nach dem, was Kunst ist oder sein könnte, die Frage nach Schönheit und Wahrheit (nach den Relationen des Sensiblen und Intelligiblen – wie Joyce es nannte), nach dem Ganzen und seiner Synthese am umfassendsten und radikalsten neu aufzuwerfen. Wie das Weimarer Bauhaus zeigte, geht es mit dem modernen Gesamtkunstwerk um die großen Fragen der Zukunft und des Lebens selbst. Wir alle – ob nun Künstler, Wissenschaftler, Philosophen oder gar Politiker – haben uns auch heute und in Zukunft diesen großen Fragen zu stellen, wenn wir unseren Beruf und unseren Lebenssinn nicht verfehlen wollen. Das Gesamtkunstwerk (das, wie Kandinsky einst formulierte – interdisziplinär vertiefte Zusammenarbeit erfordert) ist eine Herausforderung, die uns allen zur Aufgabe steht. Wir können diese Herausforderung auch Leben nennen. Im Folgenden werde ich nun anhand von einer Reihe von Integral-Art zeigen, wie ich mich mit meinem künstlerischen Schaffen dieser Herausforderung gestellt habe.

Zuvor aber noch ein Gedanke von dem Chaosforscher Friedrich Cramer. Er beschreibt das Zustandekommen synergetischer Prozesse an einem Beispiel: „Wenn man zwei Liter Wasserstoff und einen Liter Sauerstoff, jeweils aus einer Gasflasche abgemessen, miteinander reagieren lässt, entsteht etwa ein Liter Wasserdampf H2O. Warum entsteht diese Verbindung Wasser, warum bleiben die Einzelelemente nicht für sich? Sie treten mit Hilfe einer gewissen Initialzündung!...!miteinander in Resonanz.!...!Wenn nun den Wasserstoffatomen und den Sauerstoffatomen gestattet wird, miteinander in Resonanz zu treten, dann bilden sie ein neues Schwingungssystem, eben das H2O. Und dieses Schwingungssystem, dieses Resonanzsystem liegt auf einem niedrigeren Energieniveau. Genauso wie ein Stein den Berg hinabrollt, so gelangen Wasserstoff und Sauerstoff im H2O auf ein niedrigeres Energieniveau, und zwar durch Resonanz. Dabei wird Energie frei, die Reaktion ist eine brisante Explosion, die so genannte Knallgasexplosion. Aus zwei getrennten Resonanzen, nämlich H2 und O2 wird unter explosiven Bedingungen eine gemeinsame Resonanz, nämlich H2O, eine neue, bessere Schwingung ist gefunden. Dieses neue Resonanzsystem H2O hat natürlich auch seine Eigenfrequenz!“ Dieses Beispiel von Cramer führt uns vor Augen, dass es in der Natur gang und gäbe ist, isolierte Eigendynamiken zu verschmelzen bzw. zueinander in Beziehung zu bringen und dass durch Synergien Energien freizusetzen sind, wodurch es möglich wird, neue Formen der Energieerschließung hervorzubringen.

 

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