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Der Mensch ist nicht zum Ausschlachten geboren (2007)

Leserbrief zu: "Mein Herz ist dein Herz" (DIE ZEIT 19/2007)


Der Mensch ist nicht zum Ausschlachten geboren

Mit den modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Technologien hat sich die Menschheit eine umfassende Verantwortung für den Gesamtzusammenhang des Lebens aufgeladen. Dies verlangt eine klare Unterscheidung zwischen  dem, was machbar und möglich sowie dem, was für die Zukunft der Menschheit sinnvoll und wünschenswert ist. So gilt es sich angesichts der Organspendendiskussion bewusst zu machen, dass der Mensch prinzipiell nicht zum Ausschlachten geboren ist und dass jeder menschlichen Person auch nach ihrem Tod Würde und Integrität zukommt. Einen Menschen „auszuschlachten“, um einem anderen zu helfen, ist auch deshalb eine höchst zweifelhafte Angelegenheit, da sie früher oder später alle Menschen (besonders aber jene, die finanziell nicht in der Lage sind, sich dagegen zu schützen) zu potentiellen Materialressourcen sowie zum Gegenstand entsprechender Spekulationen macht. Bei diesen Spekulationen geht es im Kern um den Handel mit menschlichen Körperteilen, wie verdeckt dieser Handel auch immer praktiziert wird. (Es sei an den amerikanischen Film „Fleisch“ erinnert.)

Das Problem ist m.E. daher nicht so sehr in der aufwendigen - wohl kaum eindeutig möglichen - Diagnose des Todes zu sehen, sondern noch vielmehr in der Frage, ob wir den Handel mit menschlichen Körperteilen wollen. Es ist dies zugleich die Frage, ob wir es grundsätzlich für akzeptabel halten, wenn sich ein Mensch Körperteile eines anderen Menschen einverleibt. Solche Einverleibung ist dem Kannibalismus ähnlich, der unbedingt geächtet und tabuisiert bleiben muss. Oder würden wir dieses Tabu aus Solidaritätsgründen aufheben? (Der Begriff Solidarität würde damit grundsätzlich fragwürdig.)

Eine weitere wichtige Frage besteht darin, ob die Würde und Integrität einer menschlichen Person zur Verlängerung der Dauer des Lebens einer anderen Person geopfert werden darf. Es bestehen – auch hinsichtlich der langfristigen ethischen Entwicklung der Menschheit - gute Gründe, dies abzulehnen. Zudem wird der Mensch zum Menschen nicht zuletzt dadurch, dass er seine Vergänglichkeit als eine Grundbedingung menschlichen Lebens anerkennt. Denn der sich im Generationenzyklus "Generationenzyklus"  erneuernde Lebenszusammenhang kann auch im Zeitalter der Moderne als die beste Grundlage für die körperliche und geistige Regeneration der Menschheit gelten. Auf Organtransplantationen ist sie nicht angewiesen. Daher sollten wir - auch wenn es uns selber trifft – so unegoistisch sein und uns solidarisch aufraffen, das Ausschlachten des menschlichen Körpers sowie die Einverleibung von Organen anderer Menschen grundsätzlich abzulehnen.

H. Johannes Wallmann, Berlin



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