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Zu Hans Pischner - Offener Brief an Daniel Barenboim 2014 / DeutschlandRadio 2013

--- KUNSTAKTION INTEGRAL-ART 2014 (1) ---

Zu Hans Pischner - Offener Brief an Daniel Barenboim 2014

H. Johannes Wallmann, Berlin am 14.3. 2014

An Herrn                                     
Generalmusikdirektor Daniel Barenboim
Staatsoper im Schillertheater
Bismarckstrasse 110
10625 Berlin
   

Ihre Umarmung von Hans Pischner – ein Offener Brief


Sehr geehrter Herr Barenboim,

zumal es eine Leistung an sich ist, 100 Jahre alt zu werden, und ich ebenso wie Sie um die versöhnende Kraft der Musik weiß, fällt es mir sehr schwer und habe ich lange gezögert, Ihnen betreffs Hans Pischner zu schreiben. Doch hat die Deutsche Staatsoper z.Z. im Schiller-Theater Quartier bezogen und so möchte ich mir erlauben, Sie an einen Gedanken von Friedrich Schiller zu erinnern:

"denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit, und von der Nothwendigkeit der 
Geister, nicht von der Nothdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen" 

 

Hans Pischner hat - als einer der höchstrangigen SED-Kulturfunktionäre - diesen Gedanken von Schiller nicht nur missachtet, sondern mit Füßen getreten. Als Mitglied des ZK der SED hatte er eine führende Position, um mittels Musik die Verbrechen des Realsozialismus – ich erinnere:

ca. 70 Millionen Tote durch Mao zu Friedenszeiten,
29-46 Millionen Tote allein in den sowjetischen GULAGs,
1-2 Millionen bestialisch Erschlagene in Kambodscha,
Millionen Gequälte, Versklavte, Ermordete in den nordkoreanischen KZs,
zahlreiche Tote sowie ungezählte – mittels Zersetzung - gebrochene Biografien durch das MfS der DDR   


– zu bemänteln und Künste und Künstler entsprechend zu kaufen, ideologisch zu instrumentalisieren oder ggf. auszuschalten. Was hat es für unsere (kulturelle) Zukunft für Folgen, wenn angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus die Verbrechen des Realsozialismus übergangen werden?  Was hat es für Folgen, wenn Hans Pischners SED-Scharfmacherei nun als “Idealismus”, “Träumerei”, “Slalom-Taktik”, “Talenteschmiede”, “Missbrauchtwordensein” usw. umgedeutet wird, anstatt echte Verantwortungsübernahme einzufordern? Haben nationalsozialistische Musikfunktionäre den Nationalsozialismus einst nicht auf ähnlich “hohem Niveau” musikalisch bemäntelt wie ein Hans Pischner den Realsozialismus? Warum wohl?

Kultur konfiguriert die Gemüter. Um der Zukunft willen bedarf sie gerade deshalb – Musik als eine der universellsten Künste ganz besonders! - der Wahrhaftigkeit. Schönfärberei ist hier unangebracht.

Vergessen werden darf also nicht, verziehen werden sehr wohl. Aber dazu gehört auch, dass – anstatt sie aus dem kulturellen Bewusstsein zu eliminieren - die Leistungen jener Künstler anerkannt werden, die unter Einsatz ihrer Existenz den Zersetzungsmethoden und dem Durchgriff von SED-Vollstreckern wie Hans Pischner widerstanden. Noch 25 Jahre nach dem Mauerfall ist der Musikbereich von solcher Anerkennung jedoch ebenso weit entfernt wie von einer angemessenen Aufarbeitung der SED-Diktatur. Den Machtmissbrauch von Musik à la Pischner zu feiern, bedeutet letztlich, Musik als “Hure” zu billigen und damit ihre Wahrhaftigkeit (in der die Zukunft von Musik liegt) als überflüssig abzutun.
                                           
Mit freundlichen Grüßen                                                     

H. Johannes Wallmann

Anl: Zeitungsartikel 09/10/12/13

 

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Schreiben an DeutschlandRadio Kultur 2013

 

DeutschlandRadio Kultur / Abtl.E-Musik Herrn Stefan Lang
Hans-Rosenthal-Platz
10825 Berlin

Ihre Sendereihe mit Hans Pischner

03.03.2013

 

Sehr geehrter Herr Lang,

“Widerstand schafft Neues” formulierte der deutsch-französische Widerstandskämpfer Stéphane Hessel, der auch die Schrift “Empört Euch” verfasste und vor wenigen Tagen in hohem Alter verstarb.

Ich nun bin empört, dass Sie mit DRadio Kultur einem der hochrangigsten SED-Kulturfunktionäre - Hans Pischner - eine 7x 90-minütige Sendereihe widmeten. Hans Pischner war in meinen Augen einer der trickreichsten Vollstrecker der SED-Diktatur, dessen Aufgabe vor allem darin bestand, diese Diktatur kulturell zu bemänteln. Wie schon im Nationalsozialismus ging diese Bemäntelung auch im Realsozialismus mit zahlreichen Vereinnahmungsversuchen sowie der Einrichtung eines allgemeinen “Interpreten- und Virtuosenhimmels” einher, was seine Wirkung nicht verfehlte und widerständige Kreativkünstler umso mehr ins Aus stellte. Dies zu beschönigen anstatt klarzustellen, ist unerträglich und verhöhnt die Opfer.

Es sei erinnert, dass der Realsozialismus ca. 70 Millionen Tote durch Mao zu Friedenszeiten, 29-46 Mio Tote in den sowjetischen GULAGs, 1-2 Mio bestialisch Erschlagene in Kambodscha, hunderttausende in den fatalen nordkoreanischen KZs (s.a. Film "Camp 14"), ungezählte mittels Zersetzung gebrochene Biografien durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR zu verantworten hat. ... Die SED-Diktatur, am äußersten westlichen Außenrand dieses totalitären Herrschaftssystems gelegen, bediente sich in ihrer ”Banalität des Bösen” besonders raffiniert verdeckter Methoden, die neben der Kultur über ausgeklügelte Ausgrenzungs- und Zersetzungsstrategien bis hin zu Gift reichten und sich durch hohe “Verschleierungspotentiale” kennzeichneten. ... Was hat es für unsere Zukunft für Folgen, wenn angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus die Verbrechen des Realsozialismus übergangen bzw. kleingeredet werden?

Ich persönlich kann mich glücklicherweise zu jenen zählen, die einigermaßen davon gekommen sind. Gerade deshalb sehe ich mich gegenüber jenen, die physisch oder psychisch vernichtet wurden, in besonderer Verantwortung, das Bewusstsein für die Verbrechen des Realsozialismus wach zu halten, damit Ähnliches nicht erneut geschieht. Schönfärberei à la Pischner ist da m.E. völlig fehl Platz, zumal dadurch das realsozialistische System verharmlost wird.

Auch angesichts dessen, dass DRadio Berlin (im Gegensatz zu Deutschlandfunk Köln) mein Werk seit Jahren ausgrenzt und die Uraufführung/Sendung meines Jürgen-Fuchs-Zyklus ́ ICH SCHWEIGE NICHT versagte, wirft sich mit der umfangreichen Pischner-Sendereihe nun umso mehr die Kulturfrage generell auf. Denn die Kultur in Deutschland – besonders der Muskbereich - bevorzugt offenbar noch immer Mitläufer, Vollstrecker und entsprechend ideologisch intendierte Ignoranz. Um dem zu begegnen, möchte ich DeutschlandRadio vorschlagen, eine ebenso umfangreiche Sendereihe zu produzieren, die die Instrumentalisierung der Künste durch die SED-Ideologie offenlegt. In diesem Zusammenhang auch der Hinweis auf mein Buch DIE WENDE GING SCHIEF, das ich Ihnen bereits am 7.5. 2011 zusandte.

Ihrer Antwort mit Spannung entgegensehend, mit freundlichen Grüßen

H. Johannes Wallmann

 

P.S.: Im Sinne von Stéphane Hessels “Widerstand schafft Neues” - und um einen Beitrag zu der längst überfälligen Kulturdebatte in Deutschland zu leisten - erlaube ich mir, dieses Schreiben ggf. weiteren Personen zugänglich zu machen.

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Pischner-Feiern

Pischner-Feiern der Berliner Staatsoper mit SED-Prominenz / Berliner Morgenpost 9.2. 2014

Gratulation dem treuen SED-Genossen (von Moritz Eggert)

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