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ein "kapitaler Systemdefekt" in Musik und Musikwissenschaft - die Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar

--- KUNSTAKTION INTEGRAL-ART 2015/2016 ---

Der "kapitaler Systemdefekt" von Musik und Musikwissenschaft

Von diesem Systemdefekt, der totalitären Ursprungs ist und auf den Totalitarismusverstrickungen von Musik und Musikwissenschaft beruht, sind keineswegs nur jene MusikwissenschaftlerInnen betroffen, die direkt in Nationalsozialismus oder Realsozialismus verstrickt waren. Bis auf wenige bemerkenswerte Ausnahmen sind von diesem Systemdefekt auch jene MusikwissenschaftlerInnen kontaminiert, die bei totalitär verstrickten Musikwissenschaftlern studierten und deren Methoden selbstverständlich übernahmen und in ihrer eigenen Praxis erneut - als "natürlich" gegeben ? - anwenden. Vielleicht aus Rücksicht auf ihre (ehem.) Lehrer, vielleicht aus Nachlässigkeit, vielleicht aus eigener ideologischer Überzeugung. Entgegen der dokumentierten Fakten tragen sie bis heute dazu bei, die Person eines Komponisten, der künstlerisch Widerstand gegen den realsozialistischen Totalitarismus leistete, kulturell zu eliminieren. Stalin würde es ebenso freuen, wie Ulbricht/Honecker oder heute Putin und Xi Jin Ping. Denn Musik war und ist - wie nicht zuletzt an Putins Musik-Vasallen zu erkennen - in totalitären Staatssystemen eines der Beschönigungsmittel.

Ein "kapitaler Systemdefekt" in Musik und Musikwissenschaft - Das Fallbeispiel der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar

von Susanne Wallmann (*)

Wie nach dem Nationalsozialismus gab es auch nach dem Realsozialismus im Musikbereich keine wirkliche Aufarbeitung totalitärer Mentalitäten und Strukturen. Aber immerhin wurde im Nachkriegs-Westdeutschland der zuvor als „entartet“ ausgegrenzten avancierten Kunst und Musik breiter Raum eingeräumt. Im Nachwende-Deutschland dagegen blieben viele der vormals von der SED als „formalistisch“, „spätbürgerlich-dekadent“ oder „staatsfeindlich“ diffamierten Künstler, die mit ihrem „autonomen Kunstbeharren“ (s.u.) dem SED-System widerstanden hatten, auch weiterhin marginalisiert und ausgegrenzt. Daran hatten ehem. SED-Gefolgsleute aus dem Kulturbereich offenbar ein persönliches Interesse, um ihre eigene Verstrickung in das SED-System „versenken“, bzw. in Abrede stellen zu können. Gemäß der MfS-Richtlinien, dass DDR-Dissidenten und Ausreisebürgerrechtler auf keinen Fall beruflich erfolgreich werden und Stimme bekommen dürfen, wendeten sie die alten geläufigen Zersetzungs-Methoden der Stasi auf sublime Weise neu an. Ihre nicht immer ahnungslosen Helfershelfer und Sympathisanten aus der alten Bundesrepublik wirkten daran teils tatkräftig mit. Wie das im Einzelnen funktioniert, sei hier am Beispiel der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und ihrem ehemaligen Studenten, dem Komponisten H. Johannes Wallmann, aufgezeigt. Er war - vor seinem kulturpolitisch begründeten DDR-Ausreiseantrag (1986) - ca. 17 Jahre unter teils größten Schwierigkeiten in Weimar tätig: Als Student der Hochschule, als Mitglied der Staatskapelle, als Initiator und Künstlerischer Leiter der gruppe neue musik weimar. Letztere war eines der ganz wenigen unangepassten namhaften Neue-Musik-Ensembles in der DDR und brachte in Weimar z.B. erstmals öffentlich Musik von Karlheinz Stockhausen zur Aufführung.

Zumal die Aufarbeitung der Vergangenheit aus Wallmanns Sicht elementar mit der Entwicklung und Zukunft von Musik zu tun hat, bleibt er seit einigen Jahren an diesem Thema dran (s.a. sein Buch DIE WENDE GING SCHIEF, Kulturverlag Kadmos 2009). 2010 setzte er darauf, dass der neugewählte Präsident der Weimarer Musikhochschule, Prof. Dr. Christoph Stölzl (Historiker, Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums und ehem. Berliner Kultursenator), die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit dieser Hochschule in Angriff nehmen würde. Nachdem dieser sein Amt in Weimar angetreten hatte, nahm Wallmann Kontakt zu ihm auf und lud ihn zur Uraufführung seiner fünf SOLO-UNIVERS-Konzerte ein, die (gefördert vom Hauptstadtkulturfonds in Kooperation mit Deutschlandfunk und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen) unter Leitung von Franck Ollu am 28.10. 2010 im KMS der Berliner Philharmonie stattfand. Leider folgte Prof. Stölzl dieser Einladung nicht. Nach diversen Email- und Briefwechseln sowie einem Gespräch teilte Stölzl Wallmann dann mit Datum 10.12. 2012 überraschend mit:

"Der Stellungnahme der Hochschule zur Frage, ob Ihnen durch die damalige Hochschule für Musik im Jahre 1974 berufliche Nachteile zugefügt worden sind, möchte ich nichts hinzufügen”. (Dokument 1 - nebenstehend)

Stellungnahme mit Desinformationen

Welche Stellungnahme? Bei seiner 2007 erfolgten Einsichtnahme in Akten der Reha-Behörde des Thüringer Landesverwaltungsamtes (bei der er 2002 einen Antrag auf Rehabilitierung von SED-Unrecht stellte) hatte Wallmann diese Stellungnahme zu sehen bekommen. Sie wurde mit Datum 4.5. 2006 auf Anfrage der Thüringer Reha-Behörde von der Musikhochschule Weimar verfasst und ging ausführlich auf das Thema “Diplom” ein - und zwar ohne dass dies seitens der Reha-Behörde nachgefragt war. (Wallmann hatte in seinem Reha-Antrag mit keinem Wort den Diplom-Betrug erwähnt, da er erst bei der Durchsicht seiner Weimarer Studentenakte 2008 erfuhr, dass 1974 überhaupt ein Diplom auf ihn ausgestellt worden war.) Unterzeichnet wurde diese Stellungnahme vom letzten SED-Direktor für Studienangelegenheiten der Hochschule, Hans-Peter Hoffmann. Mittels geschickter Ablenkungsmanöver versucht er noch 2006 den 1974 von der SED gesteuerten Diplom-Betrug an Wallmann zu vertuschen. Entsprechend strotzt diese Stellungnahme von Desinformationen und Falschdarstellungen (im Anhang eine genauere Analyse dazu). Zumal sie höchstwahrscheinlich mit Hilfe eines Musikwissenschaftlers (s.u.) erstellte wurde, wird dabei ein „kapitaler Systemdefekt“ deutlich, den Dr. Ulrich Blomann bereits bzgl. Nationalsozialismus diagnostizierte, der aber ebenso auf die Aufarbeitung des Realsozialismus zutrifft:

Der "kapitale Systemdefekt"

"Wer nach der Aufklärung und dem Sturz der europäischen Monarchien glaubte, die deutschen Geisteswissenschaften, insbesondere die hier zur Rede stehende Musikwissenschaft sei dem aristotelischen Ideal einer autonomen, voraussetzungslosen, reinen, wertfreien, neutralen und einzig der Wahrheit verpflichteten Forschung sehr nahe gekommen, wurde spätestens durch deren unrühmliche Rolle im 'Dritten Reich' eines Besseren belehrt. Dass ungebro- chene personale Kontinuitäten nach 1945 möglich waren, eine kritische Selbstreflexion der Faches aus Opportunitätsgründen mehr als fünfzig Jahre ausblieb, lediglich von wenigen, nicht dem akademischen Wissenschaftsbetrieb entstammenden Forschern (Josef Wulf, Fred K. Prieberg) betrieben wurde, lässt auf einen kapitalen Systemdefekt der deutschen Zunft schließen“.

Entsprechend unterließ die Hochschule gegenüber der Reha-Behörde auch die Klarstellung, dass in der DDR alle Musikhochschulleitungs- und Entscheidungsorgane nach Vorgaben der SED handelten und dies besonders in Bezug auf die Ausbildung von Komponisten. Denn nach dem Willen der SED sollten Komponisten der “Ideologieproduktion” dienen (s.a. Christiane Sporn: “Musik unter politischen Vorzeichen”, PFAU-Verlag 2007). Quasi als Strafe dafür, dass Wallmann seine künstlerischen Leistungen der SED-Ideologieproduktion nicht zur Verfügung gestellt hatte, feindet diese Stellungnahme Wallmann noch 2006 an - eine offenbar zwangsläufige Folge des „kapitalen Systemdefektes“.

Der Skandal heute

Der eigentliche Skandal heute liegt somit nicht darin, dass die SED mit ihrem MfS bekanntermaßen Kunst und Künstler für ihre Zwecke instrumentalisierte oder (wenn sie sich verweigerten) ausgrenzte und zersetzte, sondern darin, dass noch heute in der Musikwissenschaft Mentalitäten vorherrschen, dies zu vernebeln. Das im Jahr 2006 von dem Weimarer Musikwissenschaftler Prof. Dr. Wolfram Huschke (ehemals Rektor dieser Hochschule) erschienene Buch „ZUKUNFT MUSIK Eine Geschichte der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar“ ist dafür ein Beleg. Da darin auch die Jahre 1945-1989 behandelt sind, war Huschke 2006 zweifellos der „Experte“ der Hochschule auf diesem Gebiet. So ist davon auszugehen, dass die Stellungnahme in Rücksprache mit ihm verfasst wurde. Bezeichnend auch, dass die Hochschule ihre Stellungenahme nicht an Wallmann aushändigen will; ihr Präsident antwortete am 3.9. 2013 auf Wallmanns diesbzgl. Anfrage:

"Das in Bezug genommene Schreiben der Hochschule vom 04.05.2006 erging im Rahmen des damals laufenden Verfahrens zu Ihrer beruflichen Rehabilitierung auf Anfrage des Landesamtes für Soziales und Familie (Abt. 4 - Soziales, Betreuung und Rehabilitation) in Suhl und diente quasi einer Ergänzung/Erläuterung der beigezogenen Studierendenakten. Ein entsprechender eigener Vorgang existiert daher in unserem Hause nicht, so dass Sie sich für die Vorlage des Original-Schreibens an die verfahrensführende Stelle wenden müssen.“ (Dokument 2 - nebenstehend)

Aktenunterschlagung?

Die Hochschule versendet also bzgl. ihrer eigenen politischen Vergangenheit Schreiben, ohne sie zu archivieren/dokumentieren? Ihr ist ihre eigene politische Vergangenheit - zu der zweifelsfrei auch der Fall Wallmann gehört - offenbar keinen „Vorgang“ wert. Wallmann wandte sich nun an die „verfahrensführende Stelle“, die Thüringer Reha-Behörde, die ihm mit Datum 5.11. 2013 wie folgt antwortete:

"Da das von Ihnen benannte Schreiben ein Schreiben der Hochschule für Musik „Franz Liszt" Weimar ist, darf ich Sie deshalb bitten, sich mit Ihrem Anliegen direkt an die Hochschule für Musik „Franz Liszt" in Weimar zu wenden und darf mich insofern für Ihr diesbezügliches Verständnis bedanken“. (Dokument 3 - nebenstehend)

Ist der Weimarer Musikhochschule Aktenunterschlagung bzw. Aktenvernichtung nach wie vor ein probates Mittel? Will sie sich so einer angemessenen Aufarbeitung der Vergangenheit entziehen? In seinem o.g. Buch beklagt Huschke, dass Akten bewusst vernichtet wurden. Zugleich aber überging er die im Hochschularchiv vorhandenen Akten zum Fall Wallmann bewusst, denn Wallmann war ihm bestens bekannt. Schon 1980 hatte er über den jungen Komponisten und sein Ensemble gruppe neue musik weimar in der Thüringer Landeszeitung einen ganzseitigen Artikel veröffentlicht (Dokument 17). Und 1992 hatte er Wallmann ausdrücklich aufgefordert, sich um die C-4 Professur für Komposition dieser Hochschule zu bewerben. Zudem gab es ab 1993 zwischen ihm und Wallmann mehrfachen Briefwechsel, in dem Wallmann bereits auf die Notwendig-keit der Aufarbeitung der SED-Verstrickungen der Hochschule hinwies. Das Berufungsverfahren zur o.g. Professur wurde allerdings abgeschlossen, ohne dass Wallmann auch nur zu einem Gespräch eingeladen worden war. Federführend in der Berufungskommission war Reinhard Wolschina. Angesichts einschlägiger Erfahrungen mit ihm wandte sich Wallmann nach Abschluss des Berufungsverfahren mit Datum vom 23.6.1995 an den Thüringer Minister für Wissenschaft und Kunst und schrieb:

"Leider muß ich davon ausgehen, daß zumindest ein Mitglied der Jury in meinem Fall als befangen gelten muß und somit die Korrektheit des Berufungsverfahren anzuzweifeln ist.“

Um selbst Handelnder zu bleiben, anstatt sich in eine Opferrolle hineinmanövrieren zu lassen, zog Wallmann seine Bewerbung zugleich zurück. Seitens des Thüringer Ministeriums erhielt er mit Datum vom 25.9.1995 die folgende Antwort:

"Ein Gespräch zwischen dem Rektor der Hochschule für Musik „Franz Liszt" in Weimar, Herrn Prof. Dr. Huschke, und Herrn Prof. Wolschina zu den von Ihnen erhobenen Vorwürfen ergab, daß die Nichteinladung ausschließlich aus fachlichen Erwägungen heraus zu begründen ist. Herr Wolschina betonte ausdrücklich, daß eine Befangenheit jenseits fachlicher Meinung bei ihm auszuschließen sei.“

Nun hatte Wallmann es schriftlich. Nach Meinung von Reinhard Wolschina waren also Wallmanns „fachliche“ Leistungen unzureichend. Wurde als Beweis dafür z.B. das fehlende Diplom herangezogen? Oder waren es vielmehr die DDR-Verstrickungen von Mitarbeitern der Hochschule bzw. der Berufungskommission (der u.a. der ehem. Vizepräsident des DDR-Komponistenverbandes, Georg Katzer, angehörte), die den Ausschlag gaben? Echte „fachliche“ Erwägungen dürften kaum ausschlaggebend gewesen sein (s.a. Rezensionen zu Wallmanns Werken).

"Weiße Flecken"

Lutz Rathenow, Landesbeauftragter für Stasi-Unterlagen des Freistaates Sachsen, äußerte sich in der Thüringer Allgemeine vom 15.11. 2012 (Dokument 12 - nebenstehend) zur SED-Aufarbeitung in Thüringen und zum Fall Wallmann:

"im speziellen Fall der Neuen Musik scheint es tatsächlich weiße Flecken zu geben. … Wallmann, dem in der DDR Unrecht geschehen ist, hat gute Gründe von Weimar und Thüringen enttäuscht zu sein. … Er ist ein interessanter, hochintelligenter anregender Musikphilosoph. Dass eine solche Potenz bisher nicht genutzt wurde, das verstehe ich nicht … Es wäre eine Ehre für den Freistaat, wenn er einem solchen Komponisten Raum geben würde.“ (Dokument 12 - nebenstehend)

Doch das Gegenteil trat ein: Die Hochschule versuchte, seinen Fall sowie seine künstlerischen Leistungen weiterhin kleinzureden bzw. aus ihren Zusammenhängen herauszuhalten. Inwiefern ist dies als ein Hinweis darauf zu deuten, dass eine unaufgearbeitete totalitäre Vergangenheit fast zwangsläufig zur Ausgrenzung von Potentialen führt, die für eine nachhaltige demokratische Entwicklung von Kultur und Gesellschaft dringend benötigt würden? Muss auch der desaströse gesellschaftliche Niedergang der Neuen Musik als ein Resultat dessen gesehen werden, dass in den vergangenen 25 Jahren die Neue-Musik-Szene weitgehend von einst SED-hörigen Musik-Ideologen (z.B. Udo Zimmermann, Armin Köhler) und ihren Gefolgsleuten dominiert wurde? Seit Beginn der 90er Jahre hat Wallmann zu diesem absehbaren Niedergang künstlerisch hochkarätige Alternativen aufgezeigt. Seine präzedenzfallartigen Projekte (z.B.  das GLOCKEN REQUIEM) wurden von Zigtausenden Hörern besucht, von Rundfunkanstalten mehrfach live übertragen, erhielten ausgezeichnete Rezensionen und wurden trotzdem aus der Reflexion Neuer Musik weitestgehend eliminiert. Was geschieht mit einem Fachgebiet und einer Gesellschaft, wenn – aufgrund unterlassener Vergangenheitsaufarbeitung - Machtansprüche wichtiger als echtes fachliches Teamwork sind? Sie erleiden einen "kapitalen Systemdefekt" und berauben sich hinsichtlich der Zukunft grundlegender Chancen!

"ICH SCHWEIGE NICHT"

Quer zu diesem "kapitalen Systemdefekt" und o.g. kulturellen Eliminierungsverfahren steht in Thüringen immerhin eine Entscheidung des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom Januar 2014. Mit ihr wurde einem Antrag der Robert Havemann Gesellschaft e.V. für eine Aufführung von Wallmanns „Jürgen-Fuchs-Zyklus ICH SCHWEIGE NICHT“ 2014 in der Aula der Friedrich-Schiller-Universität Jena stattgegeben. Das Werk wurde von MDR-Figaro mitgeschnitten und erhielt wiederum hervorragende Rezensionen. Im Zusammenhang mit dieser Aufführung ließ die Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar über Dritte bei Wallmann anfragen, ob er bereit sei, sich in Jena seine Diplom-Urkunde überreichen zu lassen. Nachdem Prof. Dr. Stölzl mehrfach betont hatte (vgl. TA vom 15.11.2012, s.a. Dokument 12 - nebenstehend), dass er nicht überreichen könne, was nicht vorhanden sei (also Wallmanns Diplom-Urkunde), war diese nun offenbar doch vorhanden. Wallmann lehnte jedoch eine Überreichung in Jena als inakzeptablen Verschiebebahnhof ab. In seinen Augen wollte die Hochschule sich des Problems nur möglichst geräuschlos entledigen. Während Wallmann daraufhin von der Rednerliste dieses Symposiums (das er selbst initiiert hatte) gestrichen wurde, sprach dort u.a. der Weimarer Musikwissenschaftsprofessor Albrecht von Massow.

Fehleinschätzung

Prof. von Massow hat in Freiburg/Br. bei dem Musikwissenschaftler Hans Heinrich Eggebrecht studiert und seit 2000 eine Professur für Musikwissenschaft mit Schwerpunkt 20. Jh. am Musikwissenschaftlichen Institut Weimar-Jena inne. Von Massow - der übrigens den eingangs erwähnten Begriff „autonomes Kunstbeharren“ prägte - griff (in Erwiderung auf o.g. Artikel vom 15.11. 2012, Dokument 12 - nebenstehend) in einem Gastbeitrag der Thüringer Allgemeinen vom 28.11. 2012 (Dokument 13a/13b - nebenstehend) sowohl Lutz Rathenow als auch Wallmann an:

"Wie kommt es dennoch zu solchen Fehleinschätzungen, auch seitens Lutz Rathenow? Die Ursachen sind diffizil und gerade im Blick auf manche persönlichen Befindlichkeiten unter Ostdeutschen vorerst nur pauschal zu beantworten. Anknüpfend an Wallmann und Rathenow ist mein Eindruck, dass die meisten Menschen der Länder des ehemaligen Ostblocks in ihrem kulturellen Selbstverständnis nicht zu ihrer eigenen Moderne stehen.“  (Dokument 13 - nebenstehend)

MODERNE

Besonders geschmerzt hat Albrecht von Massow offenbar, dass Lutz Rathenow - als Sächsischer Landesbeauftragter für Stasi-Unterlagen - den Finger in die Wunde der Nichtaufarbeitung der SED-Diktatur im Bereich der Musik legte. Bzgl. Moderne unterlag von Massow im Hinblick auf Wallmann nun seinerseits einer Fehleinschätzung, mit der er seine diesbzgl. Uninformiertheit dokumentierte(?). Denn gerade Wallmann hat sich so intensiv wie kaum ein anderer Komponist seiner Generation mit grundlegenden Fragen der Moderne auseinander gesetzt. Dafür steht neben der BAUHÜTTE KLANGZEIT WUPPERTAL, die unter seiner Ltg. 1991 an den Ideen des Weimarer Bauhauses anknüpfte, sein Buch “INTEGRALE MODERNE – Vision und Philosophie der Zukunft” (PFAU-Verlag 2006). Glaubt man den Rezensenten, so weist dieses Buch profund in die Zukunft. Nach seinem Erscheinen hatte es Wallmann der Weimarer Musikhochschule übersandt. Mit Schreiben vom 2.11.2007 schickte der damalige Rektor, Prof. Rolf-Dieter Arens, dieses Buch jedoch mit folgender Begründung zurück:

"Nach Prüfung Ihres Angebotes durch das Institut für Neue Musik erhielt ich heute Ihr Informationsmaterial zurück mit der Nachricht, dass z.Z. keine Möglichkeit besteht.“ (Dokument 4 - nebenstehend)

KLANGZEIT ./. KlangZeiten

Ein weiteres pikantes Detail: Weimarer Musikwissenschafts-Professoren gaben eine Schriftenreihe zur Neuen Musik der DDR mit dem Titel „KlangZeiten“ heraus. Darin wurde weder auf die gruppe neue musik weimar noch auf Wallmanns Tätigkeit als Komponist in Thüringen hingewiesen, geschweige denn auf sein internationales KLANGZEIT-Projekt, an dessen Titel (Dokument 8 - nebenstehend) die „KlangZeiten“-Schriftenreihe anknüpft (s.a. Dokumente 5/6 - nebenstehend). Zumal der Wuppertaler KLANGZEIT-Katalog den Weimarer Professoren Wolfram Huschke und Michael Berg von Wallmann persönlich 1993 überreicht worden war, offenbart sich darin ein Ausmaß an bewusst geübter Ignoranz, die alten ideologischen Handlungsmustern gleicht. Denn solche Methoden wie Titel ohne Quellenhinweise fremdzunutzen, zu modifizieren und damit deren Urheber gezielt zu marginalisieren bzw. aus dem betreffenden Zusammenhang zu eliminieren, ist eine Desinformationsmethode - gängig für die SED und ihr MfS, Gift für Demokratie, inakzeptabel für wissenschaftliche Arbeit.

SED-Aufarbeitung – ein unverzichtbares Freiheitsverlangen

Der Realsozialismus war nicht „Ideologie und Irrtum“ (wie die Berliner Akademie der Künste 2014 ihr 56. Akademie-Gespräch bzgl. der Verbrechen der Roten Khmer titelte), sondern Ideologie und Verbrechen und hat über 100 Millionen Tote zu verantworten. Doch das Ausmaß dieser Verbrechen ist noch kaum wirklich ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen. Bezeichnend, dass Russland bis heute z.B. keine nachhaltige GULAG-Gedenkstätten-Kultur entwickelte und Putin die wenigen entsprechenden Initiativen gegenwärtig als „ausländische Agenten“ registrieren/ausschalten lässt. Zu den Ermordeten des Realsozialismus kommen unzählige mittels systematischer Zersetzung gebrochene Biografien hinzu. In der DDR - dem westlichsten Außenrand des realsozialistischen Lagers - wurde Zersetzung besonders infam praktiziert, wodurch der Realsozialismus im Westen als „moderat“ imaginiert werden konnte. Zersetzung ist jedoch keineswegs „moderat“, sondern muss als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten, das auf der Verschwörung gegen Andersdenkende beruht.

Hohe Ehrungen für ehem. SED-Genossen - welche Folgen?

Angesichts der weitestgehend unterlassenen Aufarbeitung der SED-Diktatur im Musikbereich ist es nicht verwunderlich, dass in den vergangenen 25 Jahren nicht nur mittlere DDR-Funktionärs-Komponisten wie Siegfried Matthus, Georg Katzer oder Lothar Voigtländer mit hohen bundesrepublikanischen Orden und Verdienstkreuzen ausgezeichnet wurden, sondern sogar einer der mächtigsten SED-Kultur- und Musikfunktionäre, Hans Pischner. Er wurde 2013/14 bundesweit mit umfangreichen Rundfunksendungen und Zeitungsartikeln in höchsten Tönen geehrt und von der Berliner Staatsoper im Schiller-Theater mit einer „Forellenquintett-Gala“ gefeiert. Die noch lebenden Granden der SED-Kulturideologie gaben sich dabei ein Stelldichein, aber auch Daniel Barenboim und Staatsopernintendant Flimm sprachen (wogegen Wallmann mit einem Offenen Brief Protest einlegte). Hans Pischner, ehemals ein strammer Nationalsozialist und danach eine ebenso strammer Realsozialist, machte SED-Karriere: Zunächst als Rektor der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, dann als stellvertretender DDR-Kulturminister, als Intendant der Ostberliner Staatsoper, als Präsident des DDR-Kulturbundes, als SED-ZK-Mitglied. Pischner instrumentalisierte Musik ganz im Sinne der SED und trat die Freiheit der Künste mit Füßen. Bei einschlägigen Anlässen nahm er gemeinsam mit Honecker das Defilé der Vorsitzenden aller DDR-Künstlerverbände ab, was eine Fotoserie eindrücklich dokumentiert (s.a. Zeitschrift des „Forschungsverbundes SED-Staat“ der FU Berlin 35/2014). Höher gings in der SED-Kulturhierarchie kaum. Erhob auch nur ein einziger Kultur- oder Musikwissenschaftler seine Stimme gegen diese Pischner-Feiern? Was hat es für die Zukunft unserer Kultur für Folgen, wenn angesichts der nationalsozialistischen die realsozialistischen Verbrechen übergangen werden?

Es geht um mehr als "nur" um Musik

Wie wenig Unrechtsbewusstsein bzgl. der Verstrickung des Musikbereiches in die SED-Diktatur noch heute herrscht, wird u.a. am Verhalten der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar gegenüber Wallmann deutlich. Die derzeitige Leitung der Hochschule ist für den Diplom-Betrug 1974 an ihm nicht verantwortlich, aber dafür, wie heute damit umgegangen wird. Doch offenbar wiegen „Opportunitätsgründe“ so schwer, dass der gegenwärtige Präsident dieser Hochschule der o.g. Stellungnahme nichts hinzufügen“ möchte. Es sei hier angemerkt, dass es verzeihbar ist, wenn Menschen nicht den Mut haben, einem totalitären Staatssystem zu widerstehen. Aber nach dem Ende eines solchen Systems haben jene (zu ihnen gehört z.B. auch der Maler/ Philosoph Kurt W. Streubel), die mit Name und Anschrift für ihr künstlerisches Freiheitsverlangen einstanden, einen berechtigten Anspruch darauf, nicht aus dem kulturellen Bewusstsein eliminiert zu werden. Es geht um mehr als nur um Musik als die „universellste aller Künste“, wie Wallmann es nannte. Es geht um die Freiheit, Wahrhaftigkeit und Verantwortung von „Kunst“ und die Zukunft von Kultur insgesamt.

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(*) unter Mitwirkung von H.Johannes Wallmann.

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Anhang mit Details zur Stellungnahme 

vom 4.5. 2006 der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar an die Thüringer Reha-Behörde

Nach alter SED-Methode lenkt die Stellungnahme vom 4.5. 2006 von vornherein von der Grundfrage ab, ob Wallmann „aus politischen Gründen berufliche Nachteile erlitten“ habe und richtet das Augenmerk auf Wallmanns Fagottstudium. Wallmann war es jedoch von Anfang an um das Kompositionsstudium gegangen, weshalb er bereits zu seiner Aufnahmeprüfung 1968 eigene Kompositionen vorgelegt hatte, was im Prüfungsprotokoll mit der Empfehlung „zunächst Nebenfach Komposition empfohlen“ dokumentiert ist (s.a. Dokument 18- nebenstehend). Da ihm als „verfolgter Schüler“ (lt. BStU-Behörde des Freistaates Sachsen, s.a. Dokument 9 - nebenstehend ) das Abitur verwehrt war, konnte er die Hochschulreife und damit sein Berufsziel nur auf Umwegen - via Hauptfach Fagott – erreichen. Auf Grund seiner hervorragenden Leistungen sowie seiner Zielstrebigkeit konnte er das Fach Komposition ab 1970 dann tatsächlich als zweites Hauptfach belegen. Bevor die Stellungnahme darauf eingeht, behandelt sie ungefragt das Thema „Diplom“:

"Zur damaligen Zeit hatte ein Studierender im künstlerischen Studiengang die Option, das Studium ohne Diplomarbeit mit dem sogenannten Staatsexamen abzuschließen. Dies war ein vollwertiger Hochschulabschluß Es stand dem Studierenden frei, eine Diplomarbeit zu schreiben und so ein Hochschuldiplom zu erwerben. … Das Studium wurde durch Herrn Wallmann also regulär zunächst mit dem Staatsexamen abgeschlossen.“ ... (Dokument 8 nebenstehend)

Das Wort „zunächst“ legt hier nahe, dass es ein „danach“ gegeben habe. Doch dieses „danach“ gab es nicht, oder doch? Jedenfalls nicht für Wallmann, denn er erhielt nach monatelangem Insistieren lediglich ein Staatsexamenszeugnis. Den Verantwortlichen der Hochschule hätte 2006 bewusst sein müssen, dass die SED-Diktatur und ihr MfS sich perfekt darin verstand, ihre Ausgrenzungs- und Zersetzungsmethoden mittels „regulärer“ Abläufe zu kaschieren. Stattdessen stellt die Hochschule Wallmanns Studienabschluss noch 2006 als "regulär" und normal dar. Weder erwähnt sie seine Relegierung vom Kompositionsstudium noch den an Wallmann begangenen Diplombetrug (s. Haupttext). Durch eine raffinierte Formulierung macht sie sich sogar die betrügerische Umbenennung der Diplomarbeit in „Hausarbeit“ nochmals zu eigen:

"... das Thema der Diplomarbeit, die hier als Hausarbeit bezeichnet wird … “  (Dokument 8 - nebenstehend)

Ein erneuter Betrug der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar

Angesichts der im Hochschularchiv vorliegenden Dokumente muss diese Stellungnahme daher selbst als Betrug gewertet werden. Zumal die Diplomarbeit von Günter Lampe im Juni 1974 mit der Note 1 beurteilt wurde. Auf dem Blatt dieser Beurteilung steht folgende handschriftliche Notiz: „nach R. mit Koll. Lampe Note < 2“ (nach Rücksprache mit Koll. Lampe Benotung schlechter als Note 2). Unterzeichnet ist diese Notiz mit „Wa“ = Wallraff. Er war der damalige Prorektor für Ausbildung und Erziehung und ein SED-Hardliner. Da Günter Lampe dieser Vorgabe nicht in vollem Umfang folgte und in seinem zweiten Gutachten die Diplomarbeit mit „Note: 2“ bewertete, entschloss sich die SED-Leitung der HfM Weimar offenbar, Wallmann das Diplom nun gänzlich zu unterschlagen (eine übliche Methode, die z.B. auch bei Jürgen Fuchs und Wolf Biermann zur Anwendung kam, s.a. Dokument 12b - nebenstehend). So wurde die Diplomarbeit nun kurzerhand „Hausarbeit“ genannt. Die Stellungnahme unterschlägt jedoch nicht allein dies, sondern noch weitere vorhandene Dokumente, die sie mit folgenden Fehlinformationen verschleiert:

"Im Studienjahr 1973/74 war Herr Wallmann lediglich Gasthörer im Fach Komposition und Methodik (siehe sein Antrag auf Erteilung eines Gasthörerscheins). Im Rahmen der Gasthörerschaft war das Ablegen von Prüfungen und der Erwerb von berufsqualifizierenden Abschlüssen nicht möglich.“ (Dokument 8 - nebenstehend

In Wallmanns Studentenakte (s.a.: http://www.knobi-muc.de/Gunter/HfM_Weimar_/Dokumente/dokumente.html) liegen Dokumente vor, die das genaue Gegenteil beweisen. So die Anlage zum Prüfungsprotokoll vom 21. Mai 1974 bzw. 5. April 1974. Im Fach „Methodik des musiktheoretischen Unterrichts“ wurde ihm am 21. Mai 1974 die Note „3“ erteilt. Der Protokollführer notierte die „3“ jedoch in Anführungs-strichen. Dies kann als ein Hinweis gewertet werden, dass diese Note bewusst manipuliert wurde. Denn auf dem selben Blatt ist betreffs der Prüfung am 5.4. 1974 im Fach Komposition die Note 1 vermerkt. Diese Note ist nicht mit Anführungsstrichen versehen, sondern vom Protokollanten mit einem Kreis umringt. Beides auf selbem Blatt direkt untereinander. Nach einschlägiger Stasi-Methode ging es mit der Bewertung im Fach „Methodik...“ darum, Wallmann den Zugang zu einer Hochschullaufbahn zu verwehren (was seither tatsächlich funktionierte). Aber auch dieses bezeichnende Blatt war den Stellungnehmern weder des Nachdenkens noch der Rede wert. Ein weiterer bezeichnender Hakenschlag in dieser Stellungnahme lautet:

"Er [Wallmann] begehrte lt. Schreiben vom 18.10.1972 ein Zusatzstudium in Komposition.“ (Dokument 8 - nebenstehend)

Hiermit wird quasi unterstellt, dass Wallmann (z.B. aus fachlicher Selbstüberhebung) ein Zusatzstudium „begehrte“. Im Gegensatz dazu findet sich in Wallmanns Studentenakte folgendes Mitteilungsschreiben von Prorektor Wallraff an Kompositionsprofessor Johann Cilenšek (18.10.1972): „Die Abt. Komposition beantragt ein Zusatzstudium für den Studenten Johannes Wallmann, der im 2. Hauptfach Komposition studiert. Ein Zusatzstudium kann nach den Anweisungen des Ministeriums nur in der Meisterklasse absolviert werden.“ Es war also - rein formal gesehen - nicht Wallmann, der ein Zusatzstudium „begehrte“, sondern es war die Abt. Komposition, die aus fachlichen Gründen das Studium für ihren Studenten beantragte. Erst nach ausdrücklicher Aufforderung von Prof. Cilenšeks bewarb sich Wallmann selbst um die Aufnahme in dessen Weimarer Kompositions-Meisterklasse. Cilenšeks Aufforderung ist handschriftlich auf dem o.g. Scheiben vom 18.10.1972 belegt.

Die Bewerbung von Wallmann (der auch leitendes Mitglied der Weimarer Evangelischen Studentengemeinde war) wurde jedoch abgelehnt. Da er in allen relevanten Fächern sehr gute Leistungen vorzuweisen hatte, konnten – wie schon der Antrag der Kompositionsabteilung beweist - für diese Ablehnung keine fachlichen Gründe vorliegen. Die Ablehnung erfolgte durch eine Jury, die vom DDR-Kultur-Ministerium eingesetzt worden war und der – neben dem 1. Sekretär des DDR-Komponistenverbandes, Wolfgang Lesser (seit 1971 Mitglied der Kulturkommission beim Politbüro des ZK der SED) - ausschließlich Kompositionsprofessoren angehörten, die hörige SED-Genossen waren. Über die entsprechende Sitzung liegt der Hochschule das Protokoll vor. Unter den Juroren befand sich auch Prof. Cilenšek selbst. Cilenšek (der bis 1945 ein glühender Verehrer Adolf Hitlers gewesen sein soll und dadurch bis zuletzt durch die SED erpressbar blieb) knickte ein. Ein interessantes Detail in diesem Zusammenhang ist, dass Reinhard Wolschina, der zeitgleich mit Wallmann an der Hochschule im Hauptfach Oboe studiert hatte, im Gegensatz zu Wallmann mit Datum 1.1. 1973 in Cilenšeks Meisterklasse aufgenommen wurde.

Anstatt die o.g. Fakten und Dokumente ins Kalkül zu ziehen, arbeitet die Stellungnahme der Hochschule mit Mutmaßungen und verschleiert die Tatsachen mit weiteren Falschbehauptungen und Unterstellungen:

"Obwohl Herr Prof. Lampe, Komposition, zunächst bereit war, Herrn Wallmann zu fördern (siehe Studentenakte, Schreiben vom 08.11.1972) gab es später offensichtlich eine Verstimmung, die darauf zurückzuführen war, dass Herr Wallmann einen Sonderpreis für die Teilnahme an einem Hochschulwettbewerb aus persönlichen Gründen nicht annehmen wollte (siehe Studentenakte, Schreiben vom 04.07.1973), worauf hin Herr Prof. Lampe anscheinend die Aufnahme von Herrn Wallmann in seine Meisterklasse ablehnte. Zumindest lässt sich dies aus dem letzten Absatz seines Briefes mutmaßen. Die konkreten Gründe lassen sich nicht mehr nachvollziehen.“
(Dokument 8 - nebenstehend)

Weder war Günter Lampe ein Professor, noch hatte er eine Meisterklasse. Ebenso wenig gab es zwischen ihm und Wallmann eine Verstimmung (was durch privaten Briefwechsel belegt ist; Dokument 10 -nebenstehend). Mit dem Wort „anscheinend“ und einer ungedeckten Mutmaßung unterstellt die Weimarer Hochschule gegenüber der Reha-Behörde hier nun sogar, dass Wallmann selbst es gewesen sei, der die damals entstandene Lage schuldhaft verursacht habe.

Im Kontrast zu seiner Relegierung vom Kompositionsstudium erhielt Wallmann im Frühjahr 1973 von einer überregionalen DDR-Komponisten-Jury tatsächlich den erwähnten Sonderpreis. Alle Kompositionsstudenten wurden 1972/73 verpflichtet, zu den Ostberliner Weltfestspielen der Jugend Lieder einzureichen. Wallmann reichte seine „Drei Lieder nach Texten von Reiner Kunze“ ein. Da Reiner Kunze ein dissidenter DDR-Schriftsteller war, umriss Wallmann mit seinen Kunze-Liedern zugleich seine eigene politische Position. Die Lieder wurden offenbar jedoch als kompositorisch herausragend beurteilt, weshalb er dafür den o.g. Sonderpreis zugesprochen bekam. Wallmann lehnte diesen Preis zwar ab, jedoch keineswegs aus „persönlichen“ Gründen (wie es die Stellungnahme der Hochschule suggeriert), sondern aus politischen Gründen. Denn darin sah er damals die einzige Möglichkeit, seine – auch durch diesen Sonderpreis bestätigte - fachliche Qualifikation für den Beruf des Komponisten sowie seine aus politischen Gründen erfolgte Relegierung vom Kompositionsstudium zu dokumentieren.

Dazu hält der ehemalige FDJ-Sekretär der Weimarer Musikhochschule Rüdiger Tietz aufgrund seiner „Einblicke in hochschulleitungsinterne Vorgänge“ in einer Zeugenaussage 2007 fest: „Johannes Wallmann wurde die Weiterführung seines Kompositionsstudiums 1973 eindeutig aus politischen Gründen verwehrt.“ Der zweite FDJ-Sekretär der Hochschule hatte bereits mit Datum vom 10.7.1974 an Wallmann geschrieben: „sagenhaft, meine Diplomarbeit wurde von Hartwig (Prof. und Prorektor – Anm. d. Verf.) abgelehnt … Der größte Hammer war, daß man ganz allgemein einige meiner Gedanken auf unsere Freundschaft zurückführt – gewissermaßen, daß ich Gedankengut von Dir ... - muß ich noch weiter reden?!"

Auch wenn einstige Dozenten und Professoren der Hochschule den Studenten Wallmann sehr schätzten und zu unterstützen suchten, ändert dies nichts an der Tatsache, dass für die Durchsetzung der SED-Ideologie gegenüber ihrem Lehrkörper und ihrer Studentenschaft die Leitung der Hochschule geschäftsführend war. Sie war damit auch für die Relegierung Wallmanns vom Kompositionsstudium sowie für den Diplom-Betrug an ihm geschäftsführend. Anstatt dies ohne „Wenn und Aber“ einzuräumen, beging 2006 die Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar mit ihrer offiziellen Stellungnahme erneuten Betrug. Auch seither bemüht sie alle möglichen Ausflüchte, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Schlimm und bezeichnend

Schlimm und bezeichnend, dass der „kapitale Systemdefekt“ in der Weimarer Hochschule für Musik und ihrer Musikwissenschaft offenbar so tief sitzt, dass es unumgänglich war, die SED-Machenschaften dieser Hochschule am Fall Wallmann hier derart detailliert darzulegen. Noch 25 Jahre nach der Dt. Wiedervereinigung setzt diese Hochschule offenbar nach wie vor auf Mentalitäten, die sie bereits 1990 im Fall von Dr.Dr. Hermann Gerber (s.a. Wolfram Huschke „ZUKUNFT MUSIK Eine Geschichte der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar“, Seite 477) an den Tag legte. Sehen die Verantwortlichen darin tatsächlich die Zukunft der Musik oder sind sie "nur" verantwortungslos?

Integral-Art / 18. Mai 2015

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s.a. "Kultur und Künste nur als Verschleierungspotential?" (hier anklicken)

s.a. "bedauerliche Zufälle" der DDR-Musikschreibung und deutsch-deutschen Musikforschung? (hier anklicken)

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Rücktrittsforderung an Prof. Dr. Christoph Stölzl, Präsident der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar

 

INTEGRAL-ART / H. Johannes Wallmann - Einschreiben / vorab per Email

An den Präsidenten der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar - Herrn Prof. Dr. Christoph Stölzl

Platz der Demokratie 2|3

99423 Weimar


Aufforderung zum Rücktritt wegen Unterlassung einer sachgerechten Aufarbeitung der SED-Verstrickung der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar


Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Stölzl,

in Beantwortung Ihres Schreibens vom 12.1. 2016 - sowie Ihrer fortgesetzten Verschanzung hinter Doppeldeutigkeiten, Ausflüchten, Desinformationen - möchte ich meinem Bedauern Ausdruck verleihen, dass Sie meine guten Wünsche vom 4.1. d.J. offenbar missverstanden haben.

In Ihrer Rolle als Präsident der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar sind Sie seit ca. fünf Jahren mitverantwortlich für die Unterlassung einer sachgerechten Aufarbeitung der SED-Verstrickung dieser Hochschule. Angesichts der Verbrechen des Realsozialismus, als dessen westlichster Außenposten die SED-Diktatur auch in der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar wirkte, bedeutet diese Unterlassung einen enormen Kultur- und Mentalitätsschaden. Solche Schäden leisten (wie z.B. an den Entwicklungen in Ungarn und Polen zu sehen) anti-demokratischen und neo-nationalistischen Mentalitäten erheblich Vorschub und sind sowohl für Europa als auch für Deutschland mit verheerenden Konsequenzen verbunden.

Vor diesem Hintergrund und in kultureller Verantwortung (auch meines – entgegen Ihrer Wahrnehmung äußerst erfolgreichen - künstlerischen Außenseiter-Schaffens, s.u.) fordere ich als ehemaliger Student dieser Hochschule Sie hiermit auf, von Ihrem Amt als Präsident der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar zurückzutreten.

Im Hinblick auf die Zukunft (s. Anlage) wünsche ich mir, dass davon ein Signal ausgeht für eine sachgerechte Aufarbeitung der SED-Verstrickung des Musikbereiches sowie der Kultur- bzw. Musik-Bemäntelung der Verbrechen von Nationalsozialismus und Realsozialismus.

Berlin, am 19.1. 2016

Mit freundlichen Grüßen,

H. Johannes Wallmann

KUNSTAKTION INTEGRAL-ART 2016-2

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Anlagen dieser Email:

- Schreiben vom 4.1./12.1./19.1.2016

- Brief-Auszüge von 1946 und 1990

Weiterleitung von Kopien an den Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen, die Staatsministerin für Kultur und Medien sowie an weitere potentielle Interessenten

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INTEGRAL-ART/Wallmann - 3 Projekt-Beispiele:

. gefördert durch das Kultur-Programm der Europäischen Union:

.. BAUHÜTTE KLANGZEIT WUPPERTAL

... dazu EXTRA IL MATTINO, Florenz, 18.10.92: „Eine der europaweit (und unter vielen Gesichtspunkten weltweit) hervorragendsten Initiativen“

. gefördert durch den Berliner Hauptstadt-Kulturfonds:

.. SOLO-UNIVERS - 5 neue Konzerte für Solisten und Orchester

... dazu Berliner Zeitung, 30.10.2010: "Die Musik ist, bei Vermeidung traditioneller Formen, von anrührender, neu entdeckter Schönheit"

. gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes

.. ICH SCHWEIGE NICHT - Jürgen-Fuchs-Projekt

... dazu neue musikzeitung 11/2014: "Das macht ein Meisterwerk aus."

Schirmherrschaften über weitere Integral-Art/Wallmann-Projekte übernahmen zwei Bundeskanzler, zwei Ministerpräsidenten, ein Regierender Bürgermeister.

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