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GLOCKEN REQUIEM XXI

Rezension aus dem "Darmstädter Echo" vom 13.9.2006

Geläut wird zum Gesang                                              

Konzert zur Brandnacht – „Glocken-Requiem XXI“ mit dem Konzertchor in der Stadtkirche Darmstadt uraufgeführt

(von Heinz Zietsch)

DARMSTADT. „Solange die ganze Menschheit, ohne Ausnahme, keine Metamorphose durchläuft, wird Krieg wüten“, schreibt Anne Frank in ihrem Tagebuch. Mit diesen Worten – sie werden auf deutsch, hebräisch und hocharabisch gesungen – beginnt das „Glocken-Requiem XXI“ des in Berlin lebenden Komponisten H. Johannes Wallmann. Am Montagabend wurde das Werk zur Erinnerung an die Darmstädter Brandnacht vor 62 Jahren in der Stadtkirche vom Konzertchor Darmstadt unter der Leitung von Wolfgang Seeliger uraufgeführt. Die römische Zahl bezieht sich auf unser 21. Jahrhundert mit den Terroranschläge vom 11. September 2001 und den vielen kriegeri-
sche Auseinandersetzungen.
Wallmann will keine Konfrontation der drei Weltreligionen, sondern ein geschwisterliches Miteinander, um die Zukunft der Welt zu gestalten und zu verwandeln. Deshalb die drei Sprachen mit Verweis auf die christliche, die jüdische und die islamische Religion. Deshalb auch der textliche Eingriff am Ende des Werkes,
wenn Anne Franks Worte abgewandelt wiederholt werden: „Sofern die ganze Menschheit (...) eine Metamorphose durchläuft.“ Bei allem Schrecken mitsamt den Hiobs-Botschaften, an die dieses Requiem mahnend erinnert, am Ende steht die Hoffnung, an die das Frank-Zitat anknüpft, in Form der Qumram-Lobgesänge: „In  weitem Raum wandere ich ohne Grenze und weiß, dass eine Hoffnung ist für den Menschen.“
Das etwa 80 Minuten dauernde Requiem ist ein tief beeindruckendes und die Zuhörer bewegendes Werk, denn die Zeit des Zweiten Weltkriegs mitsamt Auschwitz bis hin zu den Terroranschlägen und den Konflikten unserer Tage wird hier zum Raum, zum Klangraum durch ein Werk für drei Chorgruppen, 137 Dresdner Kirchenglocken, elektronische Klänge, drei Schreier und einen Koranrezitator.

Ein Mädchen schreibt von Tod und Krieg

Das Werk basiert auf dem christlichen Requiem in lateinischer Sprache und bezieht noch andere Texte ein, darunter auch durch ihre wissende Weisheit ergreifende Zeilen um Tod und Krieg, geschrieben 1994 von einem jungen Mädchen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Das Gesamtwerk besteht aus 7 Teilen in 17 Sätzen. Hervorgegangen ist das Stück aus dem „Glocken-Requiem“ von 1995 zum 50. Jahrestages der Zerstörung Dresdens. Mit Chören erweitert sollte es bereits im vergangenen Jahr als „Glocken-Requiem 2005“ mit dem Konzertchor uraufgeführt werden, konnte aber wegen Erkrankungen nicht realisiert werden – denn die drei aus je zwölf Sängern bestehenden Chöre sind solistisch besetzt und sollten live gesungen werden, ursprünglich sogar in den jeweiligen sakralen Räumen der drei Weltreligionen. Jetzt ist das Ganze mit Hilfe des Konzertchors praktikabler gemacht worden. Von den drei Chören agiert nur noch einer live und singt die deutschen Texte. Die anderen beiden (mit den hebräischen und arabischen Texten) wurden auf Zuspiel-CD vorproduziert und ergänzen sich so mit den Glocken, die ebenfalls über im Raum verteilte Lautsprecher erklingen.
Faszinierend in diesem Werk ist vor allem die Einarbeitung der Glockenklänge, die in Elektronik (basierend auf Glocken- und  Stimmgabeln-Tönen) übergehen und sich in Gesang verwandeln, sich diesem angleichen, so dass die Klänge fast im Raum rotieren. Beeindruckend, wie Wallmann das Brahms-Requiem einarbeitet zu den passenden Worten „Herr, lehre doch mich“ und den Bach-Choral „Es ist genug“ zitiert.

Drei Schreier und ihre Hiobs-Botschaften

Großartig der Gesang der Koranzeilen und die Schreier mit ihren Hiobs-Botschaften, die zugleich Meditation sein sollen. Schade nur, dass man nicht alle deutschen Texte genau versteht, vor allem die das Werk einrahmenden Auszüge aus Anne Franks Tagebuch.

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